spook

Leben im Netz ist wild und gefährlich. Hier draußen werden sie nämlich alle zu Bestien, und diejenigen mit den buntesten Großkatzenfellen können fast sicher sein, dass sie wirklich für böse Gruseltiere gehalten werden. Manchmal habe ich den Eindruck, hier lernt niemand gar nichts. Da sind so einige seit zehn und mehr Jahren unterwegs und haben offenbar immer noch keine Idee, wie man mit Trollen umgeht. Gerade ist wieder Jagdsaison Höhepunkt angesagt. Es gelingt dem einen oder anderen Pappmachéspuk, es quasi bis in die Tagesschau zu schaffen – als sei er wirklich das böse Krokodil.

Die Faszination ist allerdings groß. Es bleibt auch immer so, dass es der Disziplin und Vernunft bedarf, nicht wenigstens ein vernehmliches “Das darf doch nicht wahr sein!” in den Internäther zu rufen. Doch, darf es, denn so sind sie. Die verschlungensten Werke fein gehäkelter Psychosen, im Verbund mit atemberaubender Frechheit, und stets, das ist wohl der Identitätskern des Trolls, abgerundet durch die krasseste Projektion. Noch keiner von ihnen hat lange gebraucht, um einen fetten Schiss auf dem Küchentisch zu hinterlassen, um sich sogleich zu echauffieren, da hätte jemand heimlich gefurzt – was der sich denn erlaube!

Märchenwelt

Trolle sind Fabelwesen. Wie man weiß, sind sie hilflos, wenn man ihre Namen kennt – und sie nicht nennt. Sie bewegen sich nur, wenn man hinschaut. Was bleibt einem also als Ignoranz? Das ist alles andere als neu, und ich erwähne das aus einem Grund: Es geht nicht nur darum, ihnen die Aufmerksamkeit zu entziehen, von der sie sich ernähren. Viel wichtiger ist noch, dass die Auseinandersetzung auf einer persönlichen Ebene hier draußen zwangsläufig zu solchen Phänomenen führt. Wer sich hier als Person aufführt und andere wie welche behandelt, verliert. Immer.

Das ist etwas, was viele noch nicht begriffen haben, vor allem in Bezug auf das, was ich hier abliefere. Ich bin nicht der Kerl von nebenan, weder nett noch fies. Ich will hier keine persönlichen Probleme befaseln und schon gar nicht Charaktere bewerten, denn das geht nicht. Es gibt hier keine Personen, sondern nur Avatare. Ja selbst der Denunziant, von dem man sich vorstellt, er sei so eine Art geisteskranker Hilfssheriff, ist keiner, selbst dann nicht, wenn er sich selbst so darstellt. Niemand weiß, was von einer Selbstdarstellung stimmt und was nicht. Man müsste schon an die reale Person herantreten, um Reales zu entheben, und dann sind wir nicht mehr im Netz, sondern stalken durch die echte Landschaft.

Avatare funktionieren anders. Im Fall von Trollen sind sie geradezu darauf angewiesen, penetrante Vollidioten darzustellen. Vielleicht sind sie auch welche, aber wen interessiert das? Ich lasse mich doch nicht auf die Werturteile solcher Schablonen ein oder befasse mich mit ihren Selbstbeschreibungen! Sie können sich da nicht nur alles mögliche ausdenken, sie werden es mangels Prüfbarkeit auch sofort tun, wenn ich mich darauf einlasse und haben jederzeit die Option, sich zu widersprechen. Wer sich mit denen einlässt, ist selbst der Depp.

Der gute Mensch

Es wird aber noch schlimmer: Es wird genau so viele nette Avatare geben, denen du real nicht im Dunkeln begegnen willst. Menschen, die sich völlig anders geben als sie sind, indem sie einem stets das Gute wünschen und immer voll des Lobes sind. Es sollte einem wurscht und Gammelfleisch sein. Nicht nur, dass sich hinter einigen besonders widerliche Zeitgenossen verbergen, die sich erst bis zur Schlafzimmertür einschleimen, damit sie es dir so richtig von hinten besorgen können. Auch und gerade die netten und höflichen sind eine Projektion. Sie sind keine Freunde und keine Geschwister.

Ich halte es deshalb hier so, dass sich unsere Texte treffen, unsere Gedanken und Ideen. Da bezieht sich der eine auf die andere, direkt und auf gleicher Ebene. Ich weiß, dass daraus sogar Freundschaften entstehen können, aber sie entstehen nicht hier. Das fängt immer erst damit an, dass man sich wenigstens einmal die Hand reicht. Meistens hört es damit dann auch schon wieder auf.

Einer der Gründe, warum ich hier herzlich wenig von meinem Privatleben preisgebe, liegt übrigens darin, dass ihr nicht prüfen könntet, was davon stimmt und was nicht. Dazu ist das Netz nicht geeignet und ein Blog schon gar nicht. Ich mag also die Intelligenz meiner Leser/innen nicht beleidigen, indem ich hier eine reale Person simuliere. Übereinstimmungen des Avatars mit der Person sind ggf. dem Umstand geschuldet, dass ich zu faul bin, mir ein Kostüm zu nähen. Das ist aber noch lange keine ‘Identität’.