Das deutsche Narrativ (7): Einig Vaterland
Posted by flatter under narrativ[12] Comments
03. Feb 2015 18:22
Der Zusammenbruch des Staatssozialismus hat der BRD eine “Einheit” geschenkt, einen “Kanzler der Einheit” und eine Annexion, die so wenig wie möglich von dem übrig ließ, was die DDR gewesen war. In Ost und West wurde Jubel zur Bürgerpflicht; der politische Dilettant Lafontaine, ein begnadeter Redner eigentlich, ging unter gegen einen Gegner, der binnen fünf Jahren “blühende Landschaften” versprach. Lafontaine blieb bei der Wahrheit und prognostizierte einen Jahrzehnte währenden Prozess, in dem die Ex-DDR alles andere erleben würde als den Lebensstandard des Westens.
Wir müssen noch einen Schritt zurück gehen, um den Prozess besser zu verstehen: In den 80er Jahren wurde in der BRD das Privatfernsehen eingeführt. Dies und die engen Kontakte Kohls zu Medienhäusern wie Kirch und Springer veränderten u.a. unmittelbar die politische Kommunikation. Die Forderung aus dem Lambsdorff-Papier, ausschließlich positiv zu kommunizieren, war die Basis für das künftig aktive Management des – ökonomisch geprägten – Narrativs. Der sogenannte “Einigungsprozess” war eine grandiose experimentelle Bestätigung der neuen Rolle “professioneller Kommunikation”, sprich PR. Die Regierung Kohl hatte einfach den alten Schlager “Aufschwung” neu gespielt als “Aufschwung Ost” und damit den visionären Miesepeter der Sozialdemokraten aus dem Ring geprügelt.
Alles Aufschwung
Unter Kohl war alles Aufschwung, ein Begriff, der bald in das dauerhafte “Wachstum” überging, das sogar als Rezession schlimmstenfalls “Delle” oder “Minuswachstum” heißt. “Es gibt keinen Misserfolg, das System ist perfekt”, ist seitdem die Botschaft. Der traditionelle Antikommunismus hatte gerade ausgedient, als er sich gegen die möglicherweise schwelenden Reste des Sozialismus noch einmal nach innen richten konnte. Parole: Die DDR war eine grausame Diktatur, alle, die ihr zugearbeitet hatten, deren rote Schergen.
Ganz Gallien? Nein. Die Politiker der CDU und der FDP, deren neue Dependancen im Osten aus Blockparteien hervorgegangen waren, gehörten natürlich zu den Guten, egal, was sie zuvor getrieben hatten. Schließlich hießen sie ja nicht “sozialistisch”, also waren sie es auch nicht. Ihre Funktionäre wendeten sich so geschmeidig wie nach dem Krieg die Nazis, die ja ebenfalls zahlreich in CDU und FDP untergekommen waren. Mitglieder der PDS und aufrechte Sozialisten wurden hingegen pauschal zu Bütteln der Diktatur erklärt und verfolgt, sofern man ihnen irgend eine Nähe zur Stasi auch nur andichten konnte. Anderen wie der FDJ-Funktionärin Merkel ging es da besser.
Rote Socken in blühender Landschaft
Ausgerechnet die SPD, der man alles vorwerfen kann, aber nicht, dass sie es mit der Stasi oder den DDR-Eliten gehabt hätte, wurde mit einer Kampagne überzogen, als sei sie selbst Honeckers Erbe – weil sie ja theoretisch mit der PDS hätte paktieren können. Egal, wie sehr die Sozen aber selbst gegen die linke Konkurrenz hetzten, sie wurden diesen unverdienten Ruch nicht los. Das ganze Arsenal uralter Propaganda wurde wieder aufgelegt, auch das der “Vaterlandslosen”, weil Lafontaine ja vorgeschlagen hatte, den Einigungsprozess nicht übers Knie zu brechen.
Die Dominanz rechter Medien und des Boulevards, der mit Kritik und schlechter Stimmung kein Geld verdienen kann, förderten eine deutschtümelnde Euphorie, hinter der sich der neoliberale Umbau perfekt verbergen konnte. Schließlich war jetzt keine Sparmaßnahme und kein Sozialabbau mehr kritisierbar, denn es ging um die “Vollendung der Einheit”! Gegen diesen Sog war Widerspruch zwecklos, und Kohl durfte weitere acht Jahre regieren, ehe ihn jemand mit seinen eigenen Mitteln schlug.
Alle Artikel zum Thema auf einer Seite gibt es hier.
Februar 4th, 2015 at 00:59
Boah ey, sind wir echt erst in 1990? Jetzt noch Schröder und Neunelf, kack die Wand an, und wenn das Klopapier vollkritzelt, mach ich das wohl in ein Posting, damit ich danach endlich zum Schluss komme. Pennt ihr alle schon? Kann ich verstehen. Hätt’ich blot nie damit angefangen ;-)
Februar 4th, 2015 at 06:52
@flatter
Wir müssen schon noch ein kleines Weilchen in 1990 bleiben, schließlich wurde da was ‘eingemeindet’, und ab da hatte das Narrativ auch für mich und ‘nen paar Millionen andere zu ‘gelten’, die die Erzählung bis dahin nicht wirklich von innen, aber auch nicht wirklich von außen kannten.
Auch für diese wurde die ‘Kinovorstellung’ anders, als das Programm einst angekündigt hatte…
… und alle gemeinsam den steinzeitlichen BGB § 1300 los.
[SDJ-Funktionäre gab's nicht; FDJ]
Februar 4th, 2015 at 10:47
Thnx, ist korrigiert.
Tja, es tut mir ja furchtbar leid, aber für euch gab es nix extra. Gar nix. Ihr habt unseres gkriegt, einschießlich der Außenbetrachtung der DDR, die fortan gefälligst eure Innenansicht zu sein hatte. Oder gehörst du vieleicht zu den unbelehrbaren Kommunisten, die ihrer Diktatur nachtrauern? Na selbst wenn, die Geschichte hält nicht an für euch.
Februar 4th, 2015 at 10:50
Einspruch! Als ich das letzte Mal in Berlin war, fand ich die Autobahn ganz doll. Ja, Autobahnen können wir. Das liegt uns im Blut.
Februar 4th, 2015 at 11:22
Zitat: “Pennt ihr alle schon?”
I wo. Ich lese das hier mit wachsender Begeisterung und bin besonders dankbar für die tollen eingestreuten Links (wie machst Du das eigentlich, zu wissen, welcher alte Beitrag hier und da gerade verlinkt hinpasst? Zettelkasten? EXCEL? Jedenfalls toll!).
Ich als Ex-Ossi hatte zwar schon 1990 ein gesundes Misstrauen gegen Kohl und habe noch nie CDU gewählt (eher soll mir die Hand abf…), aber ein bißchen ließ ich mich schon von meines Vaters Mosern über Lafontaine anstecken: “Der will doch die Einheit gar nicht.”). Ja, mahnende Worte im Taumel waren damals nicht wohl gelitten (ist ja heute auch nicht anders).
Jedenfalls kommt die Serie hier als Argumentationshilfe ins Linkarchiv.
Februar 4th, 2015 at 11:36
Hoi, hoi, heye @flatter, allein diese Frage an mich… tz tz tz.
Kommunist stimmt allerdings :P
… hoffe ich doch zumindest, odda so.
Februar 4th, 2015 at 11:40
is klar, daß dat nur die einstiegstexte für die jeweiligen, UMfangreichen und ERschöpfenden kapitel deines buches sind, ne?
losLOS, ARRRRbaitÄN!
Februar 4th, 2015 at 14:42
@Hartmut (5): Das Archiv hat eine Suchfunktion, und ich weiß, nach welchen Stichworten ich suchen muss.
Februar 4th, 2015 at 14:50
Gefällt mir ausnehmend gut, dein Mehrteiler. Auch der aufrissartige Ansatz, die Ereignisse und ihre ‘systemische Verwertung’ für sich sprechen zu lassen, ohne sich im Klein-klein zu verlieren, finde ich als Konzept sehr gelungen. Du nanntest es mal “Lochkäse”, das finde ich nicht mindernd, so etwas bleibt immer pars-pro-toto. Herzuleiten wäre einzig Auswahl und Gewichtung der exponierten Stationen, also die ideengeschichtliche Auseinandersetzung. Für’s Buch. (OT: So recht überlegt, ist das eine Herrschaftsgeschichte von Unten aus betrachtet. Wobei wiederum die Frage ist, was heute unter Herrschaft zu verstehen ist: Willkür von Einzelinteressen oder Marschbefehl systemischer Imperative, die man sich über’n Willen wachsen ließ und lässt? – Aber wie gesagt: das wäre Buchstoff und ist hier ohnehin Dauerthema.)
Und wann wird das jetzt einklich Schulstoff? :)
Februar 4th, 2015 at 23:35
“Und wann wird das jetzt einklich Schulstoff?”
Vor Jahren durfte ich mich, von Amts wegen, in einer dieser sinnbefreiten Maßnahmen langweilen. Von deren PCs aus ließ sich nicht mal der Spiegelfechter lesen – weil, ähhh, gefährlicher Linksextremist oder so. Würde mich nicht wundern, wenn alle hier
wegen dem feynen Herrn Erdmannauf windigen Terrorlisten stünden. Ähöm.Februar 5th, 2015 at 09:13
Ich hoffe doch! Sonst wäre ja die ganze Posterei umsonst. ;)
Hmm, da war doch was – ah ja, heise v. 24.09.2014: Das BKA speichert auch ohne Vorstrafen sogenannte “personengebundene Hinweise“ (PHW) … 18 Kategorien – unter anderem:
1. Ansteckungsgefahr, 2. Geisteskrank, 3. Gewalttätig, 4. Land/Stadtstreicher, 5. Prostitution, 6. Rocker, 7. Linksmotiviert, 8. Rechtsmotiviert, 9. BTM-Konsument
Ich tippe, uns haben sie unter 2,3,7 einsortiert. Vermutlich auch 1 ;) Und wenn BTM für Bier-Teig-Megaleckerknödel steht, dann bei mir bitte Doppelhäkchen, die mache ich nämlich heute Mittag ;)
Februar 5th, 2015 at 09:39
Das einzig deprimierende an der Liste scheint mir zu sein, daß wir so wenige sind. Hoffentlich haben die wie üblich geschwindelt. ;)
Wünsche wohl zu Speisen, klingt lecker! :)