Das deutsche Narrativ (5): Der nächste Weltkrieg
Posted by flatter under narrativ[13] Comments
30. Jan 2015 18:26
Haben die “68er” die Republik verändert? Was waren die Reaktionen auf die Proteste und die politischen Ansätze der linken Studentenbewegung? Zunächst ist der “Marsch durch die Institutionen” zu erwähnen, der zur Gründung der “Grünen” geführt hat. Was aus K-Gruppen und anderen radikal linken Verbänden in der etablierten Parteienlandschaft angekommen ist, hat sich zunächst dort gesammelt. Der militante Arm der Bewegung hat zu einem offensiven und öffentlichen Ausbau der nach wie vor von Nazis dominierten Dienste geführt, hier vor allem des BKA, und zwar mit großem Rückhalt in der Bevölkerung.
Was die RAF geleistet hat, war eine späte Legitimation für den autoritären Sicherheitsapparat. Dabei ist es ihr nicht im Mindesten gelungen, “die faschistische Fratze” hervorzuholen, sondern vielmehr die Nazis im Apparat als Wahrer des inneren Friedens erscheinen zu lassen. Die Stammheim-Prozesse haben dem noch die Pickelhaube aufgesetzt, indem der sogenannte “Rechtsstaat” ohne nennenswerten Widerstand zeigen durfte, wie weit man unbehelligt das Recht der autoritären Justiz entgegen beugen konnte.
Die u.a. durch die rechte Presse angeheizte Stimmung wäre geeignet gewesen, die Todesstrafe wieder einzuführen. Die gemäßigteren Medien hatten dem nichts entgegenzusetzen. Sie waren selbst antikommunistisch, und auch wer sich der Hysterie nicht anschloss, konnte dem Morden nicht zustimmen. Allein die Zerstörung des Rechtsstaats als Reaktion wurde vereinzelt thematisiert, u.a. durch Prominente wie Heinrich Böll.
Terror wie bestellt
Ein Zusammenhang zwischen der Ermordung deutscher Funktionäre, Anschlägen auf Kaufhäuser und NATO-Infrastruktur war nicht vermittelbar, und wer es versuchte, wurde bereits der Kollaboration verdächtigt. “Sympathisanten” waren diese, was für vorläufige Festnahmen, Berufsverbote und Haftstrafen oft ausreichte. Linksradikale Presse, Bücher, Zeitschriften wurden konfisziert und die Macher verurteilt. Der Sieg über die fundamentale linke Opposition war militärisch und politisch total. Eine Diskussion über Sinn und Gefahren des Kapitalismus wurde öffentlich nie geführt; der Vietnamkrieg wurde zwar geächtet, aber ein Zusammenhang mit geostrategischen Interessen nicht wirksam hergestellt.
Nach wie vor wurde der als “Soziale Marktwirtschaft” verniedlichte Kapitalismus befürwortet und die Systemalternative als das Böse schlechthin betrachtet. Breschnew gab einen formidablen Diktator ab und würgte die Freiheitsbestrebungen in Osteuropa gleich mit Panzern ab. Nach den 68ern hatte sich lediglich der Ton geändert. Gegenüber Moskau gab es “Wandel durch Annäherung”, ein wenig mehr Reiseverkehr zwischen Ost und West. Im Lande selbst wurden die Nazis etwas leiser, und es bildete sich eine Kultur der getragenen Staatstrauer als Beschwichtigung derer, die den Holocaust nicht verdrängen wollten.
Die Deutsch-Amerikanische Freundschaft, längst zu einer Marke geworden, wurde durch den Vietnamkrieg ebenso wenig gestört wie durch Stellvertreterkriege, CIA-Morde oder die Förderung von Diktaturen. Im Gegenteil wurden Freundschaften wie die von Strauß zu Pinochet vorwärts verteidigt, als sei jeder eben ein Kommunist, der so etwas anrüchig findet. Es herrschte Meinungsfreiheit, so lange der Status Quo nicht infrage gestellt wurde, für den Rest gab es die Keule “verfassungsfeindlich”. Dieser Rest hat sich aber in den 70ern ins Private zurückgezogen oder wandte sich konkreteren Themen zu: Umwelt, Frieden, Atomindustrie. Aus diesen Resten entstanden Anfang der 80er die Grünen – und eine Friedensbewegung, die weit über dieses Spektrum hinaus ging.
Der totale Krieg
Mit dem NATO-Doppelbeschluss, der Stationierung von Mittelstreckenraketen in der BRD, wurde der Kalte Krieg zu einem Ritt auf der Rasierklinge. Die Vorwarnzeiten schrumpften auf wenige Minuten, sodass jede Zuckung auf der einen Seite, falsch interpretiert, zum Drücken der Knöpfe auf der anderen hätte führen können. Überdies gab es Pläne der NATO, die das nackte Grauen inszenierten. In Strategien zur “Enthauptung” der Sowjetunion unter Preisgabe Westeuropas* (d.h. Vernichtung seiner Bevölkerung) kam wohl die neue militärische Ideologie zur Fusion faschistischer Vernichtungsphantasien der alten Nazis und der neuen Weltherren.
Auf den Punkt illustriert ein Artikel des “Spiegel” aus 1983 das Narrativ, in dem die Reaktionen auf eine Kritik dieses Irrsinns durch den SPD-OB von Saarbrücken aufgezeichnet sind. Überhaupt ist die SPD zu jeder Zeit die Repräsentanz der deutschen Schizophrenie gewesen. Motto hier: Wir wollen die Vernichtung Europas kritisch begleiten, aber dafür nicht den Kommunisten in die Hände spielen.
Obwohl Deutschlands Funktionäre treu bis zum Suizid den neuen Herren dienten und die gewählten Parlamentarier zu 100% mitzogen, obwohl die Medien dem nur äußerst sporadisch etwas entgegensetzten und vielmehr entschieden die NATO-Doktrin propagierten, schloss sich das Volk immer noch nicht der Militärpolitik an. Der Krefelder Appell, die Ostermärsche und die Großdemonstration 1982 in Bonn brachten millionenfachen Protest zum Ausdruck. Krieg wollte noch immer niemand, und nur die Drahtzieher in ihren Bunkern waren bereit, einen diesmal nuklearen Holocaust zu entfachen. Daran hatte sich in vierzig Jahren nichts geändert.
*edit: “Westeuropas”, weil es dort die ‘Verbündeten’ verdampft hätte. Hinter dem Eisernen Vorhang war ja ohnehin nur der Feind.
Alle Artikel zum Thema auf einer Seite gibt es hier.
Januar 31st, 2015 at 02:20
Zu Deinem Verweis auf “letzte Zuckungen” (Able Archer 1983) fällt mir diese musikalische und textliche Umsetzung ein: “two suns in the sunset” von der (oft gescholtenen) Platte “the final cut” der Pink Floyd (1983) ein. Na ja, es war natürlich ein Komplettprodukt von Roger Waters, seiner Einstellung zum Krieg und seiner eigenen Lebensvergangenheit, weniger psychodelische etc. von PF gewöhnte Sphärenmusik.
Aber das Lied hat mich damals (ich war weit weg von Deutschland und habe z.B. den Falklandkrieg, auf den auch auf dieser Platte sehr realistisch angespielt wird, nur über Kurzwellenradio mitverfolgen können) sehr berührt und es hat mich mit tiefer Traurigkeit erfüllt, ob je Menschen so wahnsinnig sein könnten, eine derartige Selbstzerstörung zu veranstalten.
Sorry für diesen emotionalen Einwurf…
Januar 31st, 2015 at 10:43
Irgendwie On Topic: Telepolis: Charlie und die Heuchler
[..] Erinnern wir uns! In den ersten Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg fühlte niemand eine islamistische Bedrohung. Die Menschen im Westen waren mit der geschürten Angst vor den Russen und dem Kommunismus voll ausgelastet. Als die Sowjetunion und der Warschauer Pakt zerbrochen waren, wurde unser Bewusstsein auf neue Gefahren eingestimmt (Islamismus, Dschihadismus, Salafismus, Gotteskrieger). Bündnisse wie die NATO brauchen zur eigenen Legitimation ein Bedrohungsszenario. [..]
Schon interessant, welche Rundumsicht manche Richter an den Tag legen, wenn sie nicht mehr in Amt und Würden sind.
Januar 31st, 2015 at 11:46
OT: Liebe Kinder gebt feyn Acht, die faz hat euch etwas mitgebracht: Wie erkläre ich’s meinem Kind? Warum manche Leute ihre Schulden nicht zahlen
[..] Der Staat hat damit auch ausgeglichen, dass es in vielen Unternehmen in Griechenland nicht gut lief – weil die Löhne zu hoch waren und die Sachen, die die Unternehmen verkauft haben, zu teuer waren. Lange Zeit haben die Griechen sich deshalb einen Lebensstil gegönnt, den sie sich eigentlich nicht leisten konnten. So ähnlich wie jemand, der sich immer mehr Geld leiht und davon shoppen geht. [..]
Das nächste Mal erklären wir dann, warum die Schuldenkrise auch Guthabenkrise genannt werden könnte. Öch … nee, lieber doch nicht.
Januar 31st, 2015 at 11:58
@ ” …nur die Drahtzieher in ihren Bunkern waren bereit, …”
Bunker sind wieder aktuell, man nennt sie nur “Ausweichsitz”:
http://ausweichsitz.de/content/view/150/39/
Wer weiß, vielleicht übernachtet Merkel
“Immer bereit”
schon in ihrem Ausweichsitz? :-(
Januar 31st, 2015 at 12:12
@Manfred Peters + Samson: Ihr könnt ja die nächsten Folgen schreiben im Sinne von: Was wir inne ddr alles verbockt haben.
Nur so als Idee.
Januar 31st, 2015 at 12:22
“Marsch durch die Institutionen” Wir haben damals diese Genossen gewarnt, dass wer sich mit dem Teufel einlässt, nicht den Teufel verändert, sondern vom Teufel verändert wird. Leider wurden wir durch die Geschichte bestätigt.
Januar 31st, 2015 at 12:37
@ R@iner #5
Wird gemacht, aber erst nach Deinem Beitrag über
“Spaniens Himmel”*: ;-)
Wobei “verbockt” noch zu definieren wäre.
*Anm.: Es gibt bei DuRöhre u. a. auch unter “Die Thälmann-Kolonne / Spaniens Himmel – (Ernst Busch)” eine gesungene Version, darf ich aber hier nicht verlinken! :-(
Januar 31st, 2015 at 12:42
Ich würde nur gerne von Leuten wie dir alle paar hundert Jahre mal etwas selbstreflektiertes, vielleicht sogar selbstkritisches lesen.
Januar 31st, 2015 at 13:25
Mal kurz ein Zitat aus der Bundespressekonferenz: “Wenn Szenen wie die von Paris im Internet zu sehen sind, zumindest die Verbreitung im geringeren Maße im Internet nur noch zu haben” sei das Ziel des “engen Kontaktes” zu den großen Internetanbietern. – die Regierungssprecherei erklärt also, dass sie künftig die Verbreitung von Informationen im Netz in Echtzeit eindämmen will. Ein ziemlicher Hammer, das.
edith: “Intensivierung der Verantwortung” heißt das und “Selbstverpflichtung“. Genial, denn wenn ‘Privat’ zensuriert, ist das ja kein Bruch der Verfassung. Ein Trend, der überhaupt unterschätzt wird: Der Transfer von Verantwortungsbereichen hin zu privaten Eigentümern schleift zunehmend in der Praxis verfassungsmäßige Rechte, indem quasi das Hausrecht den Rechtsstaat ersetzt.
Februar 1st, 2015 at 12:56
Irgendwie passend dazu (@#9) der aktuelle Gärtner über den Sozialpflichtigkeitsgrundsatz (§14,2 GG), der Kapitalismus zur Marktwirtschaft (v)erklärt. (So zumindest meine Lesart.)
Februar 1st, 2015 at 17:00
Gibt es eigentlich Untersuchungen, woher diese ganzen Anständigen so plötzlich organisiert sind und demonstrieren, als hätten die ihr ganzes Leben nix anderes gemacht? Gibt’s da ‘nen Wallraff?
Februar 1st, 2015 at 17:41
Zudem, Momente mal, da gab’s damals ma so ‘ne Umfrage, wer die RAF verpfeifen würde und das sah da eher schlecht aus für olle Herrscherclique. (Hoffentlich fragt keiner nach meiner Quelle… Das is mir von früher noch im Gedächtnis, abgebrochenes Studium, Nebenfach Geschichte, oder sogar vorher…) Also Teile des zweiten/dritten/vierten Absatzes hauen so nich ganz hin, doch eher Geschichtsschreibung als Geschichte.
Februar 1st, 2015 at 22:03
ot
Warmonger Ash(es) to ashes – und so einer geht als renommierter historiker durch, die zunft wird mir immer widerlicher – bundesverdienstkreuz, passt schon. Und das auch noch im guardian – omfg.
(Heribert könnte jetzt sagen: duplizität der ereignisse – 22:03, hätte ich den neuen beitrag gesehen …, ach was, jetzt steht der ot-kommentar hier.)
ps in den kommentaren im guardian gibt´s feuer und den hinweis auf diesen artikel.