persh

Haben die “68er” die Republik verändert? Was waren die Reaktionen auf die Proteste und die politischen Ansätze der linken Studentenbewegung? Zunächst ist der “Marsch durch die Institutionen” zu erwähnen, der zur Gründung der “Grünen” geführt hat. Was aus K-Gruppen und anderen radikal linken Verbänden in der etablierten Parteienlandschaft angekommen ist, hat sich zunächst dort gesammelt. Der militante Arm der Bewegung hat zu einem offensiven und öffentlichen Ausbau der nach wie vor von Nazis dominierten Dienste geführt, hier vor allem des BKA, und zwar mit großem Rückhalt in der Bevölkerung.

Was die RAF geleistet hat, war eine späte Legitimation für den autoritären Sicherheitsapparat. Dabei ist es ihr nicht im Mindesten gelungen, “die faschistische Fratze” hervorzuholen, sondern vielmehr die Nazis im Apparat als Wahrer des inneren Friedens erscheinen zu lassen. Die Stammheim-Prozesse haben dem noch die Pickelhaube aufgesetzt, indem der sogenannte “Rechtsstaat” ohne nennenswerten Widerstand zeigen durfte, wie weit man unbehelligt das Recht der autoritären Justiz entgegen beugen konnte.

Die u.a. durch die rechte Presse angeheizte Stimmung wäre geeignet gewesen, die Todesstrafe wieder einzuführen. Die gemäßigteren Medien hatten dem nichts entgegenzusetzen. Sie waren selbst antikommunistisch, und auch wer sich der Hysterie nicht anschloss, konnte dem Morden nicht zustimmen. Allein die Zerstörung des Rechtsstaats als Reaktion wurde vereinzelt thematisiert, u.a. durch Prominente wie Heinrich Böll.

Terror wie bestellt

Ein Zusammenhang zwischen der Ermordung deutscher Funktionäre, Anschlägen auf Kaufhäuser und NATO-Infrastruktur war nicht vermittelbar, und wer es versuchte, wurde bereits der Kollaboration verdächtigt. “Sympathisanten” waren diese, was für vorläufige Festnahmen, Berufsverbote und Haftstrafen oft ausreichte. Linksradikale Presse, Bücher, Zeitschriften wurden konfisziert und die Macher verurteilt. Der Sieg über die fundamentale linke Opposition war militärisch und politisch total. Eine Diskussion über Sinn und Gefahren des Kapitalismus wurde öffentlich nie geführt; der Vietnamkrieg wurde zwar geächtet, aber ein Zusammenhang mit geostrategischen Interessen nicht wirksam hergestellt.

Nach wie vor wurde der als “Soziale Marktwirtschaft” verniedlichte Kapitalismus befürwortet und die Systemalternative als das Böse schlechthin betrachtet. Breschnew gab einen formidablen Diktator ab und würgte die Freiheitsbestrebungen in Osteuropa gleich mit Panzern ab. Nach den 68ern hatte sich lediglich der Ton geändert. Gegenüber Moskau gab es “Wandel durch Annäherung”, ein wenig mehr Reiseverkehr zwischen Ost und West. Im Lande selbst wurden die Nazis etwas leiser, und es bildete sich eine Kultur der getragenen Staatstrauer als Beschwichtigung derer, die den Holocaust nicht verdrängen wollten.

Die Deutsch-Amerikanische Freundschaft, längst zu einer Marke geworden, wurde durch den Vietnamkrieg ebenso wenig gestört wie durch Stellvertreterkriege, CIA-Morde oder die Förderung von Diktaturen. Im Gegenteil wurden Freundschaften wie die von Strauß zu Pinochet vorwärts verteidigt, als sei jeder eben ein Kommunist, der so etwas anrüchig findet. Es herrschte Meinungsfreiheit, so lange der Status Quo nicht infrage gestellt wurde, für den Rest gab es die Keule “verfassungsfeindlich”. Dieser Rest hat sich aber in den 70ern ins Private zurückgezogen oder wandte sich konkreteren Themen zu: Umwelt, Frieden, Atomindustrie. Aus diesen Resten entstanden Anfang der 80er die Grünen – und eine Friedensbewegung, die weit über dieses Spektrum hinaus ging.

Der totale Krieg

Mit dem NATO-Doppelbeschluss, der Stationierung von Mittelstreckenraketen in der BRD, wurde der Kalte Krieg zu einem Ritt auf der Rasierklinge. Die Vorwarnzeiten schrumpften auf wenige Minuten, sodass jede Zuckung auf der einen Seite, falsch interpretiert, zum Drücken der Knöpfe auf der anderen hätte führen können. Überdies gab es Pläne der NATO, die das nackte Grauen inszenierten. In Strategien zur “Enthauptung” der Sowjetunion unter Preisgabe Westeuropas* (d.h. Vernichtung seiner Bevölkerung) kam wohl die neue militärische Ideologie zur Fusion faschistischer Vernichtungsphantasien der alten Nazis und der neuen Weltherren.

Auf den Punkt illustriert ein Artikel des “Spiegel” aus 1983 das Narrativ, in dem die Reaktionen auf eine Kritik dieses Irrsinns durch den SPD-OB von Saarbrücken aufgezeichnet sind. Überhaupt ist die SPD zu jeder Zeit die Repräsentanz der deutschen Schizophrenie gewesen. Motto hier: Wir wollen die Vernichtung Europas kritisch begleiten, aber dafür nicht den Kommunisten in die Hände spielen.

Obwohl Deutschlands Funktionäre treu bis zum Suizid den neuen Herren dienten und die gewählten Parlamentarier zu 100% mitzogen, obwohl die Medien dem nur äußerst sporadisch etwas entgegensetzten und vielmehr entschieden die NATO-Doktrin propagierten, schloss sich das Volk immer noch nicht der Militärpolitik an. Der Krefelder Appell, die Ostermärsche und die Großdemonstration 1982 in Bonn brachten millionenfachen Protest zum Ausdruck. Krieg wollte noch immer niemand, und nur die Drahtzieher in ihren Bunkern waren bereit, einen diesmal nuklearen Holocaust zu entfachen. Daran hatte sich in vierzig Jahren nichts geändert.

*edit: “Westeuropas”, weil es dort die ‘Verbündeten’ verdampft hätte. Hinter dem Eisernen Vorhang war ja ohnehin nur der Feind.

Alle Artikel zum Thema auf einer Seite gibt es hier.