Das deutsche Narrativ (3): ‘Demokratie’ von oben
Posted by flatter under narrativ[27] Comments
28. Jan 2015 15:09
Die Geschichte der jungen Bundesrepublik aufarbeiten zu wollen, trägt einem heute wie automatisch den Vorwurf der “Verschwörungstheorie” ein, denn was sich dort tatsächlich abgespielt hat, wer welchen Einfluss auf Entscheidungen hatte, ist kaum mehr nachzuvollziehen. Eines ist hingegen gewiss: Die BRD war weder demokratisch noch souverän. Dass sie nicht souverän war – vielleicht besser so – liegt auf der Hand, da die Alliierten keinen Grund hatten, ein neues Deutschland ungestört aus dem alten entstehen zu lassen. Demokratisch war auch nahezu nichts, das zeigt sich anhand der Konflikte der Adenauer-Ära und ihrer autoritären ‘Lösung’.
Das Ahlener Programm der CDU etwa wollte keinen Kapitalismus mehr nach den Erfahrungen, was daraus geworden war, sondern “Sozialismus”. Die SPD wollte eh keinen und die Kommunisten schon gar nicht. Dennoch kam es ganz anders. Niemand wollte mehr Krieg, und die große Mehrheit wollte auch nicht sofort wieder eine Armee. Wie ein aktueller Artikel im “Freitag” darlegt, gingen Adenauer und die durch ihn repräsentierten Mächte aber mit aller Gewalt gegen jedweden Antimilitarismus vor. Wer gegen die Wiederbewaffnung und Aufrüstung war, wurde als ‘Kommunist’ und möglicher Hochverräter angegangen. Dabei waren selbst ‘linke’ Gruppierungen ausdrücklich antikommunistisch.
Die neuen Eliten
Adenauer und die USA konnten bei ihren Plänen hauptsächlich auf Reaktionäre aus Wehrmacht und NSDAP bauen, die ja auch die neuen Eliten stellten. Die Spannung zwischen der pazifistischen Tendenz der Deutschen nach den Erfahrungen unter den Nazis und der militaristischen Ausrichtung der Eliten ist bis heute nicht gelöst, wenngleich wichtige Funktionseliten wie Kirchen, Gewerkschaften und Sozialdemokraten inzwischen auf Linie gebracht wurden. Dies wiederum geht allerdings auf Kosten der Spannung zwischen jenen Eliten und denen, die ihnen folgen. Die SPD hat es zerrissen, die Kirchen folgen ihren eifrigen Funktionären wie Gauck oder Göring-Eckart keineswegs geschlossen. Von Anfang an waren offizielle Sprachregelungen und Prioritäten von oben her diktiert.
Dies stößt wiederum durchaus auf Zuspruch, denn die Deutschen hatten zu keiner Zeit ein grundsätzliches Problem mit Autoritäten. Kanzler wie Adenauer und Kohl hatten kaum mehr zu bieten als ihr Amt und die dazugehörige Attitüde, und auch Helmut Schmidt dürfte nicht zuletzt deshalb beliebt sein, weil er an seiner Autorität keinen Zweifel zulässt. Gerade vorgeblich ‘linke’ Parteien wie SPD und Grüne haben sich als ausgesprochen autoritätshörig und entsprechend wendig erwiesen. Die letzten Zuckungen einer wirksamen “Basis” war die vereinzelte innere Opposition von SPDlern gegen Schmidt beim NATO-Doppelbeschluss. Zu Fall gebracht haben ihn freilich andere. Gleichzeitig zeigte sich Anfang der 80er Jahre aber, dass die Bevölkerung nach wie vor pazifistisch eingestellt war, trotz Jahrzehnte langer Bevormundung durch ihre Führungen.
Brüche in der Erzählung
Die BRD war von Anfang an geprägt durch Antikommunismus, Autoritätsglauben, einen unterdrückten Pazifismus und Proamerikanismus. Die Bruchlinien dieses Narrativs sind aber vielschichtig: Diejenigen, welche die neue Schutzmacht als Führerersatz akzeptierten und gern wieder mitmarschierten, haben den Holocaust durch fortgesetzten Antisemitismus verwunden, was sie wiederum in unterdrückte Konflikte zwang. Wenigstens diese jüdischen Bänker waren ihnen nach wie vor zuwider, obwohl man die ‘Marktwirtschaft’ aggressiv verteidigte. Abweichende politische Haltungen wie Pazifismus und Antikapitalismus gingen hingegen häufig einher mit dem Bewusstsein, dass es die Alliierten waren, die Deutschland von den Faschisten befreien mussten und dass jene es waren, die den Holocaust beendet hatten.
Die Rechte war großenteils also nach wie vor antisemitisch und daher auch tendenziell antiamerikanisch und betrachtete die Besatzer als Fremdkörper. Andere Teile der Rechten verbündeten sich hingegen eng mit ihnen und beanspruchten für sich, die wahren Demokraten zu sein, da sie ja jetzt gemeinsam mit der Oberdemokratie das Land befehligten. Das sorgt übrigens bis heute für Verwirrung. Die Sozialdemokratie kämpfte erst gegen das neue alte Militär, murrte dann noch eine Weile und vertrat schließlich selbst aggressiv die Interessen der NATO. Wohlgemerkt: Die Funktionärskaste der SPD, keineswegs deren “Basis”. Weiter Links wurde eine No-Go-Zone errichtet, indem alles, was die neuen Herren nachhaltig infrage stellte, kriminalisiert wurde.
Das ging anfangs alles sehr gut, so lange das sogenannte “Wirtschaftswunder” anhielt und niemand wirklich ausprobierte, was man mit ‘Demokratie’ so alles tun konnte. Dann öffneten sich einige Brüche, symbolisch dafür steht “1968″.
Alle Artikel zum Thema auf einer Seite gibt es hier.
Januar 28th, 2015 at 19:23
‘Wir stehen vor der Wahl zwischen Sklaverei und Freiheit!’
Oh ja, und das ist noch immer ein gängiges (Totschlag)Argument – passt immer und überall, wenns gegen den bösen Kommunismus (oder Putin) geht.
“Gleichzeitig zeigte sich Anfang der 80er Jahre aber, dass die Bevölkerung nach wie vor pazifistisch eingestellt war, trotz Jahrzehnte langer Bevormundung durch ihre Führungen.”
Auch das ist bis heute nicht anders. Wie sonst lassen sich die vielen heutigen journalistischen Ergüsse, die den Pazifismus als unvernünftig darlegen, erklären? Ebenso wenn es darum geht, Egoismus und Gier als Triebfedern einer/der einzigen freiheitlichen Ordnung in Stellung zu bringen (kann man beliebig fortsetzen).
Es hat sich nichts geändert außer vielleicht den Methoden. Aber es gibt ja auch kaum noch Gegenbewegungen, die zusammengeknüppelt werden müssten und könnten, aber wenn eskaliert die Gewalt von staatlicher Seite sehr “ausgeprägt”. Oft reicht es, wenn wenn man sie von “höchster Instanz” (Gauck) der Lächlerlichkeit preisgibt und sie in die Ecke der Verschwörungstheorie steckt. Wenn sie nicht als gefährlich für das System eingestuft werden oder ihm sogar dienlich sind, werden sie eben vereinnamt.
Die beleidigten Reaktionen einiger sich im Besitz der Meinungshoheit wähnender “Exemplare” offenbaren aber meiner Meinung nach schon, dass sie getroffen sind. Immerhin.
Geschichte wiederhole sich nicht, sagt man ja.
Wenn sich aber die Grundbedingungen und Narrative einer Gesellschaft und Politik nicht ändern, weil sie nicht nachhaltig in Frage gestellt und/oder nicht als solche erkannt und offen gelegt werden, sondern immer neue Anstriche und Legitimierungen erhalten, können wir unsere Zukunft bereits sehen -in der Vergangenheit- wenn wir nur hinschauen.
Und dann höre man sich die salbungsvollen Worte anläßlich des Tages der Befreiung Auschwitz’ an und die inszenierten Rituale angesichts eines jeden unmenschlichen und doch von Menschen verübten Verbrechens. Was ich daraus lese, ist nicht, dass es wichtig und (über)lebensnotwendig ist, aus dem Geschehenen zu lernen (dazu müsste man die Komplexität und die Bedingungen dafür offenen Auges zu erkennen suchen), sondern einzig Distanzierung und leere Floskeln für die Zukunft, ohne Bezug zu jetzigem eigenen Handeln.
Wir sind die “Guten”, heute auch: wir sind “vernünftig” – das ist und bleibt Legitimation genug für jedes Feindbild und jedes Verbrechen.
Januar 28th, 2015 at 21:51
Au feyn, der Artikel im Freitag belegt, wie sinnlos aller Widerstand gegen “die da oben” ist. Blank wird von einem Kriegsversehrten mit der Krücke geschlagen und verletzt, regelmäßige Tumulte und Saalschlachten, Ergebnis: Wiederbewaffnung.
Wir können also friedlich Feynsinn lesen und uns die Eier schaukeln, gelle!
Januar 29th, 2015 at 23:11
“Niemand wollte mehr Krieg, und die große Mehrheit wollte auch nicht sofort wieder eine Armee.”
Das stimmt nicht, wer den II. Weltkrieg wollte, wollte möglichst sofort den III. Operation Unthinkable, sieh auch Vom Zweiten zum Dritten Weltkrieg: Die globale NATO und das remilitarisierte Deutschland:
“Hinter dem Entschluss der sowjetischen Führung, Berlin zu erobern und die Demarkationslinien zu erreichen, die 1945 auf der Konferenz in Yalta von Stalin, Roosevelt und Churchill vereinbart worden waren, stand die äußerst wichtige Absicht, unter allen Umständen das politisches Vabanquespiel zu vereiteln, das der britische Premierminister (Churchill) mit Unterstützung einflussreicher US-Kreise einfädeln wollte, um den Zweiten Weltkrieg nahtlos in den Dritten übergehen zu lassen, in dem sich unsere bisherigen Verbündeten in Feinde verwandelt hätten.”
Januar 29th, 2015 at 23:16
“Niemand” meinte gerade nicht die Regierenden, das Kapital und sonstige Schlaumeier, sondern jene, die bis heute dagegen sind: die Leidtraganden aka “das Volk”.
p.s.: Bitte kein Blockquote für (längere) Zitate, ist mir zu laut. Danke!
Januar 30th, 2015 at 14:25
Der Ausdruck “das Volk” ist nicht nur in dieser Hinsicht eine Fiktion. Es gibt einen Grund, warum die DDR den Antifaschismus verordnen musste, und der besteht in dem schlichten Umstand, dass die Masse der Leute mit dem Satz ‘ein Volk, ein Reich, ein Führer’ und der entsprechenden Ideologie übereinstimmte. Die Angst der Leute vor ‘dem Russe’ war durchaus real, weil sie wussten, wie Wehrmacht, SS etc. bei denen gewütet hatten, und deswegen wäre ihnen nichts lieber gewesen, als dass die vermeitlich ‘zivilisierten’ Sieger GB und US gemeinsam mit ihnen in den Kampf gezogen wären …
Januar 30th, 2015 at 15:21
Das hat a) nichts mit Begriff zu tun, denn auch ein Volk von Arschlöchern ist ein Volk, und b) widerspricht das allen Befunden. Es hat in jeder Dekade deutliche Anzeichen dafür gegeben, dass die Bürger der BRD merheitlich gegen Krieg waren, und das ist bis heute so.
Dass die “DDR den Antifaschismus verordnen musste” halte ich, mit Verlaub für kompletten Blödsinn. Das war und ist nämlich nichts anderes als Staatsdoktrin und Propagana, die zu Lippenbekenntnissen und Buckeln führt. So etwas als “Antifaschismus” zu bezeichnen, ist bestenfalls naiv, schlimmstenfalls Stalinismus.
Januar 30th, 2015 at 16:38
Dann erklär doch mal, wie sich die “Spannung zwischen der pazifistischen Tendenz der Deutschen nach den Erfahrungen unter den Nazis” mit dem Umstand verträgt, dass es nicht nur keinerlei ‘Aufabreitung’ (außer der ‘stalinistischen’ im Osten) gab, sondern diesbezügliche Nachfragen in der Regel unbeantwortet blieben und die Befunde im wesentlichen darauf rausliefen 1) von den Verbrechen der Nazis nichts geahnt, gehört und schon gar nichts gewusst zu haben; 2) die Nazis immerhin für Arbeit, Autobahnen etc. gesorgt hätten.
Irgendwo habe ich mal gelesen, die Briten hätten in irgendeinem Kaff ’45 einen zum Bürgermeister gemacht, obwohl der eingestandenermaßen bis zuletzt NSDAP-Mitglied war. Auf diesbezügliche Nachfragen gab der zuständige Offizier sinngemäß an, es hätte ihn eben gewundert, dass nach der Kapitulation der Wehrmacht niemand mehr Nazi gewesen sein wollte und auch niemanden kannte, der es gewesen war.
Als Kontrast dazu braucht man sich die wohl niemals wirkliche endende IM-Hysterie anzusehen. Würde man derlei ernstnehmen, stellte sich wohl eher die Frage, wer kein IM gewesen wäre.
Januar 30th, 2015 at 17:56
Jetzt muß ich auch noch die DDR verteidigen, bin ich denn total bekloppt…
Nee, komme ich nicht mal ansatzweise auf die Idee.
Ich brauche nämlich nichtmal erst eine Idee zu kriegen, daß in allen drei Fällen, ‘Volk’ nicht und niemals wirklich gefragt wurde (Nazideutschland, BRD, DDR)
Natürlich kann dann nur das Volk, wie auch immer wir den Begriff fassen wollen, es ist jedenfalls eine Mehrheit gemeint, was dafür.^^
Reichlich simples Weltbild.
(Mit Verlaub, wo doch Volk eh dämlich ist, oder wie war das)
Ich kann mich nicht erinnern, daß irgendwo auf der Welt ein Volk bei Krieg “Hurra” gerufen hat oder ihn sich eingefordert hätte, oder will mir hier jemand einreden, daß die paar Hanseln im Sportpalast das Volk sind – so nicht und im Sinne von Mehrheit gleich gar nicht.
So weit ich es überblicke, gibt es nicht ein einziges Volk auf der Welt, das das je getan hätte.
Im Gegenteil, es mußte immer ein alleiniger Angriff des anderen vorgetäuscht werden, daß das Klima überhaupt in die Nähe von Notwendigkeit der Verteidigung änderte.
Abgesehen davon ist es für ein Staatsgefüge ein ‘bisken’ schwer bis unmöglich, die Ursachen da zu suchen, wo sie sind…
Btw. Ich mußte noch 1989 ankreuzen, ob irgendwelche Familienmitglieder, wenn dann welche und wie lange usw., Mitglied der NSDAP waren.
Fand ich wenig lustig.
Sippenhaft?!
Januar 30th, 2015 at 18:29
@Samson(7): Nichts einfacher als das. Das Bedürfnis zu verdrängen ist mitnichten ein Hindernis dafür, das nicht noch einmal erleben zu wollen. Der Holocaust war übrigens in diesem Sinne nicht so wild. Der Krieg war halt scheiße.
Januar 30th, 2015 at 20:50
@Wat.: Wozu willst du “die DDR verteidigen“? In Bezug auf Krieg, und wer den haben will oder nicht, von “drei Fällen” zu schreiben, ist ziemlich borniert, die DDR ist nie in den Krieg gezogen und hat niemals diesbezügliche Anstalten gemacht, und das im Gegnsatz zum Deutschen Reich und dessen Fortsetzung BRD. Allerdings, auch wenn weder du dich noch ich mich daran erinnern können, weil wir damals schlicht nicht auf dieser Welt waren, gibt es ziemlich eindeutige Belege dafür, dass bspw. 1914 nicht bloß “ein Volk bei Krieg “Hurra” gerufen hat oder ihn sich eingefordert, sondern so ziemlich alle in Europa.
@flatter: “Der Krieg war halt scheiße.” Den Krieg verloren zu haben, war scheiße. Vermutlich ist das so ähnlich wie bei den Amis, die haben versucht, den Schlitzaugen den Kommunismus, oder das was sie dafür hielten, auszutreiben, aber der Vietcong kannte sich im Dshungel besser aus. Und wenn man den Krieg nicht gewinnen kann, dann wird aus einer Aktion gegen “Guerilleros des Vietcong” unversehens das Massaker von Mỹ Lai (Son My). Nicht umsonst benutzen NATO und befreundete Mächte heute gern Begriffe wie Kollateralschaden und wenn’s ruchbar wird, machen die ansonsten gleichgeschalteten Medien fix mal auf empört und die Angelegenheit verkommt kurzzeitig zum Skandal.
Das ist aber gar nicht mein Punkt. Wenn man zwischen Herrschaft und Volk zu sehr trennt, anders gesagt, die Interessen (die man abstrakt als Klasseninteressen mitdenken sollte) beiseite lässt, stellt sich bspw. die Frage, von welchem Stern die Nazis kamen und wohin sie nach dem verlorenen Krieg entschwanden …
Januar 30th, 2015 at 21:13
Eben, weiß ich ja auch, daß sie (die DDR) nie in den Krieg gezogen ist – lange kein Grund sie als besonders in der ‘Handlungsmacht’ von Volk hervorzuheben. Dem Verdacht wollte ich mich nicht einmal ansatzweise aussetzen.
@Samson – zu Deinem letzten Absatz – ich werde zwischen Herrschaft und Volk trennen. Ja, egal wie Du Volk definierst, an Herrschaft gibt’s nichts zu deuteln – sie ist Herrschaft einer Minderheit über eine Mehrheit. Da ist die Trennung absolut und nicht von mir.
Die Nazis kamen von keinem Stern, die Erde ist ein Planet – sie waren und sind Menschen, wie schrecklich auch immer sie handeln/handelten.
Die Bedingungen ‘kitzeln’ aus uns, was in uns allen(!) immer da ist. Das heißt nicht, daß wir willenlos sind, heißt aber auch nicht, daß wir frei in unserem Handeln sind.
Wir haben wohl die Entscheidung uns auf diese oder jene Seite ‘zu schlagen’, diesen oder jenen Job zu tun, oder auch dieser oder jener Gruppe/Organisation angehören zu wollen – aber nach dieser Entscheidung diktieren die Bedingungen.
Scheint mir doch reichlich… vermessen, dann zu meinen, dann innerhalb dieser jeweiligen Struktur noch irgendetwas frei und selbst (anders) machen zu können.
Is’ nich. Struktur verlassen wäre vielleicht… aber das Vielleicht kann für den anderen mit den Konsequenzen für ihn kein Vielleicht sein.
Niemand ist als schlechter Mensch geboren oder hat eines Tages beschlossen einer zu sein… auch der Zyniker nicht.
@Samson, verwechsel doch bitte nicht Geschichtsschreibung mit Geschichte. Und vor allem sollten wir nicht meinen, das Hurra für den Krieg kam vor der ständigen Ansage der Notwendigkeit, daß er als Verteidung (von was auch immer) notwendig ist. ;)
Januar 30th, 2015 at 21:35
@Samson(10): Hast du mal mit Leuten gesprochen, die den Krieg erlebt haben? Selbst diejenigen in den Generationen meiner Eltern und Großeltern, die Herrn Adolf groß fanden, hatten danach die Schnauze voll von der Veranstaltung.
Januar 30th, 2015 at 22:06
“1914 nicht bloß “ein Volk bei Krieg “Hurra” gerufen hat oder ihn sich eingefordert, sondern so ziemlich alle in Europa.” – Das ist so wie es da steht quatsch – sorry. Schau mal hier:
„Die These von der allgemeinen Kriegsbegeisterung im August 1914 ist einer der großen Geschichtsmythen des 20. Jahrhunderts.“ oder hier Und noch mit einem weiteren Vorurteil, das sich hartnäckig hält, räumt Oliver Janz auf: nämlich dem der angeblichen Kriegsbegeisterung von 1914. Diese habe sich in allen Ländern auf wenige Schichten beschränkt: das national eingestellte Bürgertum, Teile des Militärs und der akademischen Jugend. Die Landbevölkerung beispielsweise stand, so Janz, unter Schock, denn zu Kriegsbeginn im August fehlten nun die jungen Männer, um die Ernte einzubringen. Auch bei kriegsbeginn 1939 war die stimmung – auch in Berlin – gedrückt, nicht begeistert.
Beispiel
“So wird in einem Lagebericht des Amtes Niederbreisig im Zusammenhang mit der sogenannten ..Sudetenkrise des Jahres 1938″ über die Stimmung in der Bevölkerung vom Amtsbürgermeisrer folgendes berichtet: „Wie bei der übrigen Bevölkerung, so bedrückt auch unter der Bauernschaft die drohende Kriegsgefahr sehr die Stimmung. Man ist der Ansicht, daß ein Krieg unbedingt vermieden werden müsse. Dies war besonders in den Familien feszustellen, in denen ein Angehöriger in den letzten Tagen einen Gestellungsbefehl erhielt.” (Lagebericht vom 28. Sept. 1938) Im Oktober 1938 wird dann noch ergänzend vermerkt: „Die Stimmung in der Bevölkerung war z. Zt. der drohenden Kriegsgefahr sehr gedrückt. Von dem Hurra-Patriotismus – wie er in den Zeitungen geschildert wurde, war hier nichts zu merken.” (Lagebericht vom 27. Okt. 1938)
Aus Waldorf wird in diesem Zusammenhang sogar eine oppositionelle Äußerung zur Anzeige gebracht. Dort hatte ein Bürger gesagt: „Wenn die Mobilmachung käme. solle man denjenigen, die für die Bewegung ständen, zuerst den Hals abschneiden.”
Diensteifrig ergänzte der Amtsbürgermeister den Stimmungsbericht noch handschriftlich, wobei er anmerkte:
„Ich muß berichten, daß nach genauer Kenntnis der Stimmung und der mangelnden Bereitschaft, im Kriegsfalle Gut und Blut zu opfern, in den ersten Tagen eines Krieges bei den nicht politisch ausgerichteten Volksgenossen abschreckende Exempel hätten statuiert werden müssen, um zwangsweise den Zustand zu erreichen, der für die Kriegsführung notwendig ist.” (Lagebericht vom 27. Okt. 1938)”
Flatter, ergänzend zu deinen artikeln das hier:
Nach 1945 hieß es in Deutschland nicht, wie wir hier wohl alle wissen, befreiung, ja, nicht einmal niederlage, sondern zusammenbruch (sic(k)). Für die deportation und ermordung der juden findet sich in akten auf lokaler ebene der begriff evakuierung (nach kriegsende, als aus dem ausland die ersten fragen nach angehörigen kamen) – beide begriffe wurden auch von sozialdemokraten verwendet, genauso sic(k).
Januar 30th, 2015 at 23:03
Im Narrativ spielt der Holocaust auch lange keine Rolle; erst durch eine Fernsehserie scheint das ein Thema geworden zu sein. Übrigens ein Anlass für Nazis (bzw. einen Einzetäter, schulligense), Sendemasten zu sprengen.
Januar 30th, 2015 at 23:22
@flatter #12: Hab ich, bin aber in der Beziehung kaum objektiv, weil die meisten von denen sich selber als Kommunisten definierten (in deinen Kategorien waren/sind sie vermutlich Stalinisten), und die waren von vornherein gegen die Nazis. Die waren aber nach dem Krieg eine deutliche Minorität. So viele Leute, die Hitler ‘großartig’ fanden, habe ich persönlich nie kennengelernt, dafür umso mehr, die “auch nicht alles schlecht” fanden. Und letztere waren m.E. damals ebenso in der Mehrheit wie heute. Die fanden es “als Volk” schon in Ordnung, den ‘Platz an der Sonne’ (unterm Kaiser) oder den ‘Lebensraum im Osten’ (unter Hitler) anzustreben. Die würden heute vermutlich nicht zu Pegida gehen, aber jeder von denen kennt einen, der kennt einen, der kennt einen, der kennt einen Russen/Türken/Araber/sonstwie-Asylanten, dem-hinten-alles-reingeschoben-wird-und-die-Deutschen-gucken-in-die-Röhre usw. usf.
Man darf sich da nichts vormachen, “das Volk” hat nix davon, wenn die Regierung einen angezettelten Krieg gewinnt und es muss alle möglichen Entbehrungen in Kauf nehmen, wenn der Krieg verloren geht. Das heißt aber nicht, dass es der Regierung das Kriegführen übelnimmt, das Kriege verlieren ist halt scheiße. “Das Volk” liest Bild und guckt Big Brother und sorgt sich darum, dass der Lieblingsklub nicht absteigt und jubelt wenn “wir Weltmeister sind” oder Papst, aber es ist bestenfalls ‘unpolitisch’ i.d.S., dass es sich von einer Katastrophe zur nächsten ‘verführen’ lässt, ohne einen Argwohn dabei zu hegen.
@oblomow: Der Historiker Eric Hobsbawm erzählt 1) das bischen anders und 2) spricht Janz von Schichten (die sich selbst bei Soziologen mehr oder weniger nach materiellem Status unterscheiden) und eben nicht vom “Volk”, unter das sich alle unterschiedlos als ‘Leidtragende’ subsumieren lassen. Mir geht es um genau diese Differenzierung. Die fehlenden “jungen Männer, um die Ernte einzubringen” stehen eben für andere Interessen als “das national eingestellte Bürgertum”. Und solche, m.E. wesentliche Verschiedenheit gab es vor dem Krieg und danach wieder. Um vom “Volk” zu reden, muss man aber genau davon erstmal absehen.
Btw, im DDR-Antifaschismus spielte der Holocaust auch keine besondere Rolle. Der Faschismus wurde, m.E. richtigerweise, stets als eine verschärfte Form von Klassenauseinandersetzung und eben nicht als ‘völkische’ resp. nationale Angelegenheit betrachte.
Januar 30th, 2015 at 23:42
Du musst hier nicht dumm rumkeilen (den Halbsatz in Klammern). Ich lese bei dir immer nur eine betonharte Moral, gepaart mit einer festgelegten Perspektive, aus der alles zu betrachten sei. Das führt dich u.a. zu der Weigerung, genau das zu differenzieren, was du selbst postulierst. Die “Klasse”, die an die Front geschickt wurde, deren Bildung aus dem Naziradio und autoritären Schulen kam, hatte wenige Ressourcen, um rechtzeiig zu erkennen, was da lief. Als sie es hätten tun können, waren sie erst an der Front und dann Kriegsverlierer. Auf dem Land, wo die Faschisten auch nach dem Krieg den größten Zuspruch fanden, gab es vielleicht noch Kriegslust – wenn denn nicht allzuviele auf dem fremden Acker verblutet sind. In den Städten, in denen kein Stein mehr auf dem anderen stand, wollte niemand mehr Krieg, und auch die ehemals Linientreuen waren großenteils herbe enttäuscht vom tausendjährigen Reich. Nach zwei ‘verlorenen’ Weltkriegen ist der Optimismus auch ziemlich dahin.
Vor allem aber versuche ich hier eben nicht, in gut und böse zu teilen, das ist eh immer zu simpel. Ich schaue mir an, was gesprochen und geschrieben wurde, wo Volk den Führern folgte und wo nicht, wo mit Murren und wo mit wehenden Fahnen. Noch einmal: Zu keiner Zeit haben es die Herren mehr geschafft, Deutsche in der Mehrheit für Krieg zu gewinnen, durchgängig bis heute. Es gab sogar Jahrzehnte lang Massenproteste gegen Kriege, an denen deutsche Soldaten nicht teilgenommen haben – trotz einer ungebrochenen Struktur faschistischer Sicherheitsdienste und einer Dackeltreue gegenüber den “Verbündeten”. Das kannst du jetzt alles für ungültig erklären, aber damit betrügst du dich um die Einsicht eines Kernwiderspruchs im Narrativ. Gerade diese Lebenslüge birgt für mich einiges an Erkenntnis.
Januar 30th, 2015 at 23:53
@Wat.: “ich werde zwischen Herrschaft und Volk trennen” Genau das ist der Fehler. Den haben, nur genau andersrum, die Kommunisten auch begangen, und nur deswegen kamen sie auf die Schnapsidee, die DDR als ‘Errungenschaft der Arbeiterklasse’ zu deklarieren, obwohl sie nach den Erfahrungen aus der Nazizeit hätten wissen müssen, dass selbst die Mehrheit der überlebenden Arbeiter mit ihren Ideen quasi nix am Hut hatten. Von den anderen ‘Schichten’ ganz abgesehen.
Januar 31st, 2015 at 00:06
@Samson(17): Den “Fehler” machst du just in Potenz, wo du zwischen “den Kommunisten” in der Führung und dem Volk trennst und der Führung implizit vorwirst, sie habe diese Trennung nicht sehen wollen.
Januar 31st, 2015 at 14:26
@flatter #18: Da bin ich eben anderer Ansicht. Politisch halte ich die Aussage(n) für durchaus korrekt, weil den Tatsachen entsprechend, »Der ›Klassenfeind‹ war keine Erfindung der DDR-Propaganda«
“Die DDR und der Sozialismus sind doch nicht untergegangen, weil es keine Demokratie oder zu wenig Freizügigkeit gab oder weil wir Menschenrechte missachteten, sondern weil wir die Eigentumsfrage gestellt und damit die Systemfrage beantwortet haben.”
Politik hat aber, jedenfalls aus meiner Perspektive, ökonomische Gründe, die sich ggf so darstellen:
Armutsfalle Mindestlohn
“Hartz IV bedeutet einen Paradigmenwechsel im deutschen Wohlfahrtsstaat – von der Lebensstandard- zur bloßen Existenzsicherung. Das primäre Ziel war eine weitere Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des „Wirtschaftsstandorts Deutschland“ durch systematisches Lohn- und Sozialdumping.”
Den “Fehler” beziehe ich auf die Ökonomie, wenn die Methoden des ‘Klassenfeind’ (Lohnarbeit) weiter praktiziert werden, muss man sich nicht wundern, dass sich an der Hierarchie nicht wirklich was ändert. Dann wird in der politischen Praxis aus dem propagierten demokratischen Zentralismus organisatorisch das Gegenteil.
Januar 31st, 2015 at 14:36
@Samson: *lol* Und warum sind die eigenen Leute abgehauen? Manche Psychosen dauern halt ein Leben lang.
Nachdem meine eigene Verwandtschaft aus dem Osten zum Dümmsten gehört, was ich je erlebt habe (Hitler gut und so), werde ich durch deine Kommentare langsam davon überzeugt, dass man euch nicht helfen kann. Der Schmerz muss so tief sitzen, dass ihr vor 25 Jahren aufgehört habt zu leben.
Machen wir uns doch nichts vor: Weder im Westen noch im Osten gab es echte Mehrheiten. Jeder gab sein bestes, um zu überleben. Fertig. Wie jetzt irgendwelchen alten Säcke ihr Leben erklären und schönreden, das wird man überall auf der Welt finden. Jeder macht das. Täglich.
Schönen Gruß an die “Volksdemokratie”. Nur echt mit der Systemfrage. m(
p.s.: Sorry, bin heute launisch unterwegs.
Januar 31st, 2015 at 16:49
@ 20
1. “Nachdem meine eigene Verwandtschaft aus dem Osten zum Dümmsten gehört,…
2. bin heute launisch unterwegs.”
zu 1. Muss wohl an den Genen liegen!
zu 2. Nicht eher depressiv?
Januar 31st, 2015 at 17:11
@Manfred Peters: Findest Du es logisch, die Rechtfertigungen irgendwelcher Geheimdienstfuzzies für ihr Lebenswerk als Argumente ins Feld zu führen? War der Warschauer Pakt besser als die Nato? Sind Panzer mit dem roten Stern besser als die mit dem weißen?
Januar 31st, 2015 at 18:29
Oh, habe grade mitbekommen, dass es Herrn Weizsäcker erwischt hat. Passt ja auch in die Reihe, seine berühmteste Lüge: “Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung”.
Schon klar, Deutschland wurde 12 Jahre lang von einer handvoll Irrer als Geisel genommen und ist konsequenterweise befreit und nicht vernichtend besiegt worden. Klingt viel besser, und es gab ja eigentlich ohnehin so gut wie keine Nazis.
Januar 31st, 2015 at 18:40
Der Demokratische Zentralismus würde immer wieder genau der Stuß (nett ausgedrückt, dabei war der nicht mal unter Lenin nett) werden, der er war. Der ist Stuß.
Nee, stop, stimmt nicht – er (der Demokratische Zentralismus, also genau dieser Führungs- und Organisationsaufbau von Lenin, der im übrigen nicht im kleinsten Ansatz was mit Marx zu tun hat oder hätte haben können) ist Super für Herrschaften, die immer hübsch Herrschaften bleiben wollen – mit dem DemZet ist die Entwicklung von Lenin zu Stalin absolut folgerichtig und so etwas wie vorhersehbar.
Der würde ohne Warenwirtschaft nicht anders – es könnte ihn ohne Warenwirtschaft nicht mal geben – denn es würde ihn ohne Warenwirtschaft nicht brauchen :P
Ja, Politik hat auch aus meiner Sicht/ Perspektive ökonomische Gründe. Die materiellen Bedingungen sind dafür die Grundlage.
Und wenn die materielle Grundlage keine herrschaftsfreie ist, kann es die Politik, also der Überbau fürs Janze auch nicht sein.
Nun verrate mir mal bitte einer, wie die Politik eine herrschaftsfreie materielle Grundlage schaffen oder lenken soll/ will, wenn sie dabei selbst herrschaftsfrei agieren soll/müßte.
Prost bei dem Salto!
Januar 31st, 2015 at 19:17
@R@iner – heje, das soll ich nun widerspruchslos auch für mich gelten lassen? Weil Du schlecht drauf bist, Deine Verwandtschaft weniger intelligent (odda so) und Samson auch nicht Dir richtiges sagt – sagt er mir auch nicht.
Klar, war der Schmerz groß, jedenfalls für mich, echt jetzt. Zu helfen ist mir vielleicht auch nicht, aber daß ich aufgehört hätte zu leben?
Nee. ‘Untote’ sind hier mE andere…
Januar 31st, 2015 at 22:39
@ 22 & mal einigermaßen sachliche Fragen
1. ”Findest Du es logisch … ?”
Was hat Deine Frage mit Logik zu tun? Außerdem habe ich nicht damit argumentiert. Wenn aber schon in Raum und Zeit gestellt, ich mag generell keine “Geheimdienstfurzies”. Leider kommt aber immer mehr ans Licht, was selbst die Fantasie eines J. Bond-Autoren übersteigt.
2. “War der Warschauer Pakt besser …?”
Die Frage sprengt wohl das (Auf)Fassungsvermögen dieses Forums.
Nur soviel:
2.1.
”Am 4. April 1949 gründeten 12 Staaten den Nordatlantik-Pakt.”
2.2.
”Der Warschauer Pakt … war ein von 1955 bis 1991 bestehender militärischer Beistandspakt …“
Finde den Fehler in Deiner Frage selber, sollte Deine depressiv-launische Phase mal vorbei sein.
3. ”Sind Panzer mit dem roten Stern besser …?”
Technisch seit dem T-34, “… da er als einer der ersten die für einen Panzer ausschlaggebenden Faktoren von Feuerkraft, Panzerung und Beweglichkeit in fortschrittlicher Weise miteinander verband, “ ja und bis heute feilen sie immer noch.
Ansonsten, Vorrang hätte generelles “Entpanzern” mit welchen Stern auch immer und …
Februar 1st, 2015 at 12:16
@Manfred Peters: Ich muss mal nachdenken, was genau mich an der Stelle ärgert. Wie erwähnt, ist ja auch meine Familiengeschichte mit dem “Thema ddr” belegt. Meinen gestrigen Vorschlag an dich, etwas über die Geschichte des Landes zu schreiben, hatte ich übrigens durchaus ernst gemeint, auch wenn das nicht so ankam.
Meine nicht ausformulierte Kritik hier besteht einfach darin, dass ich es ablehne, Geschichte nur als Reaktion zu interpretieren. Sicher scheint mir, dass es nicht einfach sein dürfte zeitliche Trennstriche zu ziehen, ab deren Erreichen man die Eigendynamik von errichteten Systemen in ihren Auswirkungen betrachten kann.