arbimepo

Peinhart hat mich auf einen großartigen Artikel von Günter Gaus aufmerksam gemacht und einen wahren Satz daraus zitiert:

Das Maß an Freiheit lässt sich ablesen an der Zahl der Lippenbekenntnisse, die einer leisten muss, damit man ihn in Frieden lässt.

Gaus erläutert dies anhand von Bekenntnissen zur “freiheitlich demokratischen Grundordnung”, die ihn in der alten BRD irritierten. Inzwischen hat sich das inhaltlich verschoben. Politiker bekennen sich zu “Wachstum” und “Marktwirtschaft”. Anfragen zu diesen Slogans ergeben bei der großen Suchmaschine mehrere 10000 Treffer (20500/67000).

Klaus Baum stellt in der Diskussion drüben die Frage in den Raum: “wie kommen die leute immer darauf, dass wenn sie x kritisieren, sich zu y bekennen müssen?“. Dies scheint in dieselbe Richtung zu gehen. Was ist das für ein Phänomen, dass die Menschen sich in einer so genannten Demokratie stets zum Guten des Ganzen bekennen, selbst wo es sichtbar nichts Gutes mehr hat, dass sie sich noch zum vermeintlichen Common Sense bekennen, wenn sie just das Gegenteil formulieren oder die Menschenrechte preisen, wenn sie gerade die Todesstrafe fordern?

Ich glaube ….

Bekenntnisse haben eine lange Geschichte. Eine starke Wurzel ist bekannt unter dem lateinischen Begriff dafür, “Credo” (ich glaube/bekenne). Noch heute bekennt der Katholik: “Ich glaube an die heilige katholische Kirche”. Der erste Schritt zur Verweltlichung der Selbstunterwerfung: Es ist nicht mehr allein Gott, sondern es ist seine Organisation auf Erden, zu der man sich beizeiten besser bekennen sollte, wollte man nicht auf dem sehr irdischen Höllenfeuer landen.

Immerhin, die Ordnung war einfach: Gott, Vater, Fürst, Autorität, Land, Stadt, Dorf. Das Bekenntnis war immer das zur patriarchalen Autorität, zur gegebenen Ordnung. In der Religion nötig und nachvollziehbar, denn Gott hat immer recht. Geht alles gut, ist es seine Macht und Herrlichkeit, doch selbst das Schlimmste ist noch sein Werk: Dann ist es eben eine Prüfung. Unter diesen Bedingungen kann man sich immer zu demselben bekennen. Wenn etwas alternativlos ist, dann Gott. Besser, man bekennt sich, man duckt sich. Kostet ja nichts, und man riskiert nicht ‘seinen’ Zorn. So einfach ist diese Welt. Dies übertrug sich dann auf die nachfolgende weltliche Ordnung.

Der Zufall einer Aufklärung, die eine etwas feinere Vernunft entwickelt hat, brachte die Möglichkeit einer ganz neuen Freiheit mit sich, es wurde dadurch aber auch komplizierter: Die Macht der Religion wurde zurückgedrängt, die Fürsten abgelöst, der Staat ein ausdrücklich nicht mehr autoritärer. So weit dieses offizielle Selbstverständnis. Aber weder die immer entscheidenden Arbeitsbedingungen noch ein offenbar unbändiger Wille zur Unterwerfung ließen sich dadurch zur Freiheit zwingen. Demokratie? Gern, solange sie gute Führer hervorbringt. Oder müssen wir am Ende tun, was wir wollen?

Fahne, Altar, Schwur

So bereitet es einem Journalisten kein Problem, sein Plädoyer für Freiheit mit der Einsicht zu verargumentieren, der Staat müsse Angriffe auf seine Bürger eher dulden als solche auf ihn selbst. Der Staat steht über den Bürgern, aber darunter dürfen diese frei sein. Die Polizei muss den Staat gegen die Bürger beschützen, aber bitte maßvoll. So klingen heute Bekenntnisse zu ‘Freiheit’ und ‘Demokratie’. Was nicht sein darf: Ein Zweifel am Ganzen, an der Autorität, an dem, was ist.

Das Ganze fordert das Bekenntnis. Es verbietet sich jegliche Kritik. Solche nämlich ist “Extremismus”, das schlimmste Verbrechen. In diesen Verdacht will niemand geraten, schon gar nicht, wenn er vorsichtig ein wenig Missfallen äußern will, maßvoll, doch ohne die Majestät zu beleidigen. Das Verteidigungsbündnis des freien Westens ist ja gut und richtig, aber müssen so viele Unschuldige sterben? Muss man Menschen dafür ohne Urteil einsperren und foltern? Ach, das sind alles Terroristen. Dann ist ja gut.

Und so gehen sie immer unter, die einst bemühten Versuche. Der alte Muff hängt noch in der Luft, da werden wieder neue Fahnen geschwenkt und neue Eide geschworen. Das erste Bekenntnis ist das auf das Neue, ausdrücklich gegen das Alte: “Wir waren im Widerstand!”. Dann wird in die Hände gespuckt und der neuen Fahne ein Altar gebaut. Ein paar Jahrzehnte später, wenn Gestank und Verkrustung kaum mehr auszuhalten sind, bleiben nur noch die Bekenntnisse. Sie werden immer mehr und umso lauter, je absurder sie klingen. Für marktkonforme Demokratie! Für Wachstum!! Für Wohlstand!!! Für Arbeitsplätze!!1!