Peinhart hat mich auf einen großartigen Artikel von Günter Gaus aufmerksam gemacht und einen wahren Satz daraus zitiert:
“Das Maß an Freiheit lässt sich ablesen an der Zahl der Lippenbekenntnisse, die einer leisten muss, damit man ihn in Frieden lässt.”
Gaus erläutert dies anhand von Bekenntnissen zur “freiheitlich demokratischen Grundordnung”, die ihn in der alten BRD irritierten. Inzwischen hat sich das inhaltlich verschoben. Politiker bekennen sich zu “Wachstum” und “Marktwirtschaft”. Anfragen zu diesen Slogans ergeben bei der großen Suchmaschine mehrere 10000 Treffer (20500/67000).
Klaus Baum stellt in der Diskussion drüben die Frage in den Raum: “wie kommen die leute immer darauf, dass wenn sie x kritisieren, sich zu y bekennen müssen?“. Dies scheint in dieselbe Richtung zu gehen. Was ist das für ein Phänomen, dass die Menschen sich in einer so genannten Demokratie stets zum Guten des Ganzen bekennen, selbst wo es sichtbar nichts Gutes mehr hat, dass sie sich noch zum vermeintlichen Common Sense bekennen, wenn sie just das Gegenteil formulieren oder die Menschenrechte preisen, wenn sie gerade die Todesstrafe fordern?
Ich glaube ….
Bekenntnisse haben eine lange Geschichte. Eine starke Wurzel ist bekannt unter dem lateinischen Begriff dafür, “Credo” (ich glaube/bekenne). Noch heute bekennt der Katholik: “Ich glaube an die heilige katholische Kirche”. Der erste Schritt zur Verweltlichung der Selbstunterwerfung: Es ist nicht mehr allein Gott, sondern es ist seine Organisation auf Erden, zu der man sich beizeiten besser bekennen sollte, wollte man nicht auf dem sehr irdischen Höllenfeuer landen.
Immerhin, die Ordnung war einfach: Gott, Vater, Fürst, Autorität, Land, Stadt, Dorf. Das Bekenntnis war immer das zur patriarchalen Autorität, zur gegebenen Ordnung. In der Religion nötig und nachvollziehbar, denn Gott hat immer recht. Geht alles gut, ist es seine Macht und Herrlichkeit, doch selbst das Schlimmste ist noch sein Werk: Dann ist es eben eine Prüfung. Unter diesen Bedingungen kann man sich immer zu demselben bekennen. Wenn etwas alternativlos ist, dann Gott. Besser, man bekennt sich, man duckt sich. Kostet ja nichts, und man riskiert nicht ‘seinen’ Zorn. So einfach ist diese Welt. Dies übertrug sich dann auf die nachfolgende weltliche Ordnung.
Der Zufall einer Aufklärung, die eine etwas feinere Vernunft entwickelt hat, brachte die Möglichkeit einer ganz neuen Freiheit mit sich, es wurde dadurch aber auch komplizierter: Die Macht der Religion wurde zurückgedrängt, die Fürsten abgelöst, der Staat ein ausdrücklich nicht mehr autoritärer. So weit dieses offizielle Selbstverständnis. Aber weder die immer entscheidenden Arbeitsbedingungen noch ein offenbar unbändiger Wille zur Unterwerfung ließen sich dadurch zur Freiheit zwingen. Demokratie? Gern, solange sie gute Führer hervorbringt. Oder müssen wir am Ende tun, was wir wollen?
Fahne, Altar, Schwur
So bereitet es einem Journalisten kein Problem, sein Plädoyer für Freiheit mit der Einsicht zu verargumentieren, der Staat müsse Angriffe auf seine Bürger eher dulden als solche auf ihn selbst. Der Staat steht über den Bürgern, aber darunter dürfen diese frei sein. Die Polizei muss den Staat gegen die Bürger beschützen, aber bitte maßvoll. So klingen heute Bekenntnisse zu ‘Freiheit’ und ‘Demokratie’. Was nicht sein darf: Ein Zweifel am Ganzen, an der Autorität, an dem, was ist.
Das Ganze fordert das Bekenntnis. Es verbietet sich jegliche Kritik. Solche nämlich ist “Extremismus”, das schlimmste Verbrechen. In diesen Verdacht will niemand geraten, schon gar nicht, wenn er vorsichtig ein wenig Missfallen äußern will, maßvoll, doch ohne die Majestät zu beleidigen. Das Verteidigungsbündnis des freien Westens ist ja gut und richtig, aber müssen so viele Unschuldige sterben? Muss man Menschen dafür ohne Urteil einsperren und foltern? Ach, das sind alles Terroristen. Dann ist ja gut.
Und so gehen sie immer unter, die einst bemühten Versuche. Der alte Muff hängt noch in der Luft, da werden wieder neue Fahnen geschwenkt und neue Eide geschworen. Das erste Bekenntnis ist das auf das Neue, ausdrücklich gegen das Alte: “Wir waren im Widerstand!”. Dann wird in die Hände gespuckt und der neuen Fahne ein Altar gebaut. Ein paar Jahrzehnte später, wenn Gestank und Verkrustung kaum mehr auszuhalten sind, bleiben nur noch die Bekenntnisse. Sie werden immer mehr und umso lauter, je absurder sie klingen. Für marktkonforme Demokratie! Für Wachstum!! Für Wohlstand!!! Für Arbeitsplätze!!1!
Januar 13th, 2014 at 16:06
Der ‘Zufall einer Aufklärung’ hat die Freiheit, kaum dass sie – schwierig genug – begründet war, sofort wieder unter Kuratel gestellt. Ein Imperativ sollte dafür sorgen, dass nur solche der nun immerhin schon mal freien Gedanken zu Handlungen werden, die auch als Maxime einer allgemeinen Gesetzgebung taugen würden. Gesetz und damit auch notwendig eine entsprechende Ordnung waren so von Anfang an Bestandteil dieser Konzeption, der Freiheit nicht nur bei-, sondern übergeordnet: nur darunter darf man frei sein. Wie aber steht es um die Vernunft der Ordnung?
Januar 13th, 2014 at 16:14
Ein Aberwitz: Haben sich doch dereinst jene rationalistische Aufklärung und ihr vorgeblicher Widerpart, die Philosophie des Willens, keineswegs darüber gestritten, ob es eine höhere Ordnung gäbe. Am Ende musste ‘Evolution’ herhalten, ein Prinzp, dem man sich zu unterwerfen hätte, auf dem Weg zu einer neuen, unbekannten Ordnung, denn die muss sein sowie ein Subjekt unter ihr. Klar, dass es dann auch immer die gleicheren gibt, die darauf aufpassen, dass sich da keiner zu viele Freiheiten rausnimmt.
Januar 13th, 2014 at 18:28
Und das gebiert dann wohl den bislang ultimativen Aberwitz: da einerseits die Evolution ‘naturwüchsig’ sein soll, durch menschliche Eingriffe also nicht gestört werden darf, andererseits diese Stufe der Evolution aber ohne wenigstens halbwegs bewusstes Denken und Handeln nun mal nicht mehr zu haben ist, kann dann letztlich nur noch sowas dabei rauskommen. Aber hier erst recht Achtung, nicht nur aktuell nichts essen oder trinken, auch die letzte Nahrungsaufnahme sollte schon etwas zurück liegen. Zarte Gemüter und um ihre geistige Gesundheit eh Bangende sollten diesen Text nicht lesen – soviel von vornherein in sich selbst Widersprüchliches kann einem nicht nur den Magen verdrehen. Wenn ich doch nur wüsste, ob ich Rumpelstilzchen heiß…
Januar 13th, 2014 at 18:50
@Peinhart: Jaja, “und deshalb ist Sozialismus Tod.”
Seiten, die schon in der Adresse ein “frei” haben, meide ich wie die Pest. Das waren bis jetzt immer dummdreiste
FaschistenAnarchokapitalistenpfosten. Kein Wunder also, dass dem Autor ein Nachruf in der “jungen Freiheit” gewidmet ist, wie man wikipedia entnehmen kann.Sonst mag ich ja deine Empfehlungen…
Januar 13th, 2014 at 19:23
Mehr als warnen kann ich auch nicht… :p Mir geht es dabei nicht um das ganze unflätige Zeug und die sachlich falschen Darstellungen zu Hauf, sondern eben um die Widersprüche in Sachen Denken, Handeln, Idee usw. die trotz dieses ganzen Misthaufens immer noch gut erkennbar herausragen.
Aber wenn du mal wieder einen wirklich guten Roman lesen willst, könnte ich das vielleicht wieder gut machen: ‘Kronhardt’ von Ralph Dohrmann, ein bundesrepublikanischer Entwicklungsroman vom feinsten. Sowas empfehle ich sonst nicht, aber der hat es wirklich verdient. Lest selbst!
Januar 13th, 2014 at 19:27
Liest sich nicht schlecht. Ist vorgemerkt.
p.s.: “Wie die Buddenbrooks, nur mit mehr Sex und literarischem Wagemut.”, Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Britta Heidemann, 09.10.2012
Äh, sowas wie Thomas Mann kommt mir aber nicht mehr ins Haus. Keine Lust auf die 50-seitige Beschreibung des Abstiegs von sieben Treppenstufen.
Januar 13th, 2014 at 19:37
Vertrau mir, nicht Britta. Btw – hast du inzwischen eigentlich mal in das Spätwerk von Scott Walker reingehört…? ;)
Januar 13th, 2014 at 19:47
Vertrauen? Dir? Nach solchen Links? Mmmh…
Scott Walker trifft nicht meinen Geschmack. Zu wenig Flamenco-Jazz.
Januar 13th, 2014 at 19:49
Ja, der Atikel aus 2004 ist sooo packend!
Dank an Peinhart!
“Als Kind, Liebhaber und Hinterbliebener der Aufklärung…” Hammer
Ebenso gut: “Wer wie ich die Erkenntnis nicht länger verdrängt, dass die Demokratie sich selbst verloren hat, der fürchtet mehr als andere den Zentralismus von Macht, …” Vorratsdatenspeicherung, NSA,…
Was mich ein wenig traurig macht: Wo war ich als dieser Mann über die Probleme der Gesellschaft nachgedacht hat? Warum war mir das das damals egal?
Manchmal befürchte ich, dass bereits alles Kluge schon viel früher gesagt wurde. Nur das Übel produziert immer etwas Neues, Gemeines.
Januar 13th, 2014 at 20:06
Bekanntermaßen sind Lippenbekenntnisse nur hohle Phrasen.So wie er sich bekennt, mit seinen Lippen, der stinkende Kriecher, so schnell schwört er auch wieder ab vom Glauben, sobald der nächste Führer erscheint und die eigenen Regularien vorgibt. Das sind Leute, bei denen Denken, Sprechen und Handeln nicht übereinstimmen – und nur am Handeln erkennt man schlussendlich, wen man wirklich vor sich hat. Der Knecht, der seinen Verstand abgegeben hat, um gediegen der Drögheit zu fröhnen, und sein Herr, der ihm diese lästige Selbstverantwortung abgenommen hat und somit über dessen Existenz verfügt. Fast schon wie beim Seelenverkauf geht es da zu. Wer keine eigenen Vorstellungen und Gedanken hat, der bekommt sie nunmal eingetrichtert, wie er auch seine Träume serviert bekommt, weil er selbst über keine mehr verfügt. So werden auch die Meinungen und Ansichten weitergegeben – schon im Kindesalter – und wer gefallen will, Bestätigung braucht und auf Gesellschaft nicht verzichten kann, der wird sie wohlgefällig übernehmen und zur eigenen Ratio umdeklarieren. So läuft das Spiel. Es ist die “Breite Masse”, die den Mainstream prägt – und wer nicht mitmacht, der muss krank sein und ist zwangsläufig böse. Es ist doch hinlänglich bekannt, wie man mit Nonkonformisten, Mahnern und Kritikern umgeht. Man müsste auch verrückt – oder einfach nur selbstbewusst – sein, sollte man den Mist nicht mitmachen wollen und sich den Strukturen entziehen, denn ansonsten bringen sie einen einfach um. Das ist die Konsequenz. :)
Januar 13th, 2014 at 21:09
“Für marktkonforme Demokratie! Für Wachstum!! Für Wohlstand!!! Für Arbeitsplätze!!1!” Kann man auch zusammenfassen: “Für das Richtige, gegen das Falsche!” Was richtig ist bestimmt das Kapital durch die Politniki (heute Mutti, Siechmar & Co.).
Btw.: Seit wann rasierst Du Dich nich mehr, flatter??
Januar 13th, 2014 at 21:20
@Peinhart
Du liest ja komische sachen, gut ich habs jetzt auch gelesen, mein magen hält das auch nach einem guten abendessen aus.
Unterhaltungswert hat das, das grenzt an comedy und stürzt einen auch nicht in die “tiefe verwirrung” aus der Baader, der aufklärung seis geklagt, zeitlebens nicht herausgefunden hat.
Zur biographie des herrn: Mont Pelerin Society – yo – und den im artikel zitierten Paul Johnson als historiker zu bezeichnen, uijuijuijui, ich kann mir nicht vorstellen, dass ihn die britische “historikerzunft” als ihr zugehörig betrachtet und so belässt es die englische wikipedia auch bei einem nüchternen writer, wo in der deutschen ausgabe historiker steht.
“As with all good zombies, there is something missing where a brain should be. Neoclassical economics resembles a catechism for the undead …..” Philip Mirowski (flatter, ich fühle mich da noch einer antwort schuldig, vielleicht klappt das nochmal)
Und bei der gelegenheit auch mein danke für den hinweis auf Günter Gaus, der artikel hat mich “gerührt” und ansonsten ging es mir ähnlich wie HAL9002.
Januar 13th, 2014 at 23:18
@Vogel: Ich kann das Pic nicht rasieren ;-)
Januar 13th, 2014 at 23:54
Was verschwand zuerst: Die Demokratie oder ihre Demokraten?
Januar 14th, 2014 at 00:47
Ich tendiere zu Ersterer. Als die aufgesetzt wurde, waren einige der Letzeren dabei und viele fanden die Idee gut. Nur blieb es bei einigen, womit jene sich wieder endgültig ins Reich der Ideen verflüchtigte.
Januar 14th, 2014 at 02:05
Was an deren Stelle trat: Die Tyrannei mit samt ihren Tyrannen.
M.T. Cicero hatte dazu folgendes fest gestellt: „Es gibt keine andere Regierungsform, der ich eher den Titel Gemeinwesen vorenthalten würde, als einer, in der alles der Macht von Mehrheiten unterworfen ist. Bei einer solchen Versammlung handelt es sich ebenso gewiss um einen Tyrannen, denn es gibt nichts schrecklicheres als jenes Monster, dass fälschlicherweise den Namen und die Erscheinung des Volkes annimmt.“
Januar 14th, 2014 at 08:48
@Katze – “Da passt ins Bild, was der französische Politikwissenschaftlicher Bernard Manin herausgefunden hat. Er behauptet, Wahlen seien schon immer ein aristokratisches Verfahren der Entscheidungsfindung gewesen. Dagegen seien demokratische Entscheidungen stets durch Los getroffen worden. So galten im antiken Athen und in Rom Entscheidungen durch Los als demokratisch, Entscheidungen durch Wahl als aristokratisch.” Quelle – der Rest dieser Artikelreihe ist aber leider eher von gängigen Ressentiments als von wirklicher Analyse geprägt
Januar 14th, 2014 at 11:05
@HAL9002 (9) “Manchmal befürchte ich, dass bereits alles Kluge schon viel früher gesagt wurde. Nur das Übel produziert immer etwas Neues, Gemeines.”
Hm, ja, geht mir ähnlich. Wobei ich weniger das Gefühl habe, dass immer neues Übel produziert wird. Ich empfinde es eher als ewiges auf der Stelle treten, die Wiederholung der Geschichte zum Tausendsten, halt nur technisch auf dem neusten Stand. Und wenn man dann liest, wie Menschen vor Jahrhunderten/Jahrzehnten schon fast genau die gleichen Kritikpunkte angebracht haben, lässt es einen durchaus mal die Flügel hängen lassen und glauben, die Menschen sind einfach in ihrer Gesamtheit zu blöd, sich wirklich zu entwickeln.
Doof nur, wenn man so lange braucht, um in irgendeiner Weise ein klitzekleines bisschen vom Platz zu kommen, wenn man zeitgleich alles dafür tut, diese Zeit garantiert nicht mehr zu haben. Krone der Schöpfung halt. *konfetti*
Januar 14th, 2014 at 11:48
@Peinhart, @oblomow: Die echten Verteidiger der “Philosophie” des Neolib. sollten sich mal überlegen, warum das Ergebnis immer so aussieht, als hätte die Mafia die Oberhand gewonnen.
Lesen ist ja gut und schön, ich sehe aber tatsächlich keinen inhaltlichen Nährwert darin, mich argumentativ mit denen auseinanderzusetzen. Das ganze Konstrukt ist absurd, beginnend mit deren “objektiv existierenden Realität”, die man nur erkennen müsse.
Das ist angewandte Esoterik, die davon ablenken soll, welche kriminellen Energien sich dahinter verbergen.
Dschinghis Khan, Al Capone und Marco Polo hatten nicht so viel Geschiss gemacht. :-)
Drei, zwei, eins und alles ist meins, wenn ich könnte. Und das nennt sich dann österreichische Schule. Kapitalismus als natürlichste Verhaltensform des Menschen und so. Zuerst Hitler und dann das.
Januar 14th, 2014 at 11:57
@Uena – Da gibt es noch eine Passage in dem Gaus-Artikel, die ich in dem Zusammenhang interessant finde: “Von den Idealen des Kommunismus hat mich stets getrennt, dass ich, lutherisch geprägt, an den neuen Menschen nicht glauben konnte, dessen sie zu ihrer Verwirklichung bedurft hätten. Und den womöglich die Welt zu ihrem Überleben braucht.” Denn war nicht auch der ‘lutherisch geprägte’ eine Art ‘neuer’ Mensch?
@Rainer – Zum einen fürchte ich, dass wir nicht drumrum kommen. Zum anderen finde ich es interessant, oder auch eher wieder zum Fürchten, was dieser obskure Hirnapparat so alles auszubrüten vermag… Und was soll man denn entgegensetzen? Another Al Capone…?
Januar 14th, 2014 at 11:59
@Peinhart: Mit wem will denn reden und vor allem aus welcher Position? Als Bittsteller? Das meine ich jetzt gar nicht so aggresiv provokant, wie es sich vielleicht anhört. Da ich gleich weg muss, erwarte ich auch keine Antwort, zumal wir immer wieder an dieser Stelle landen.
Januar 14th, 2014 at 12:17
@Peinhart: Denn war nicht auch der ‘lutherisch geprägte’ eine Art ‘neuer’ Mensch?
Oder doch nur ein “Schritt zurück”, weg von den “Verirrungen” der katholischen Kirche, eine “Rückbesinnung” auf Bibel, Gott und Jesus als Maßstab und Norm?
Den “neuen Menschen” sehe ich da doch etwas anders, seine Gründe nicht begründet auf etwas “von außen Gegebenes” (Gott).
Nur so als Idee.
Januar 14th, 2014 at 12:47
@Stony – Natürlich ist der ‘lutherisch geprägte’ inzwischen der aaO als ‘alter Adam und alte Eva’ bezeichnete, also der zu Überwindende bzw Aufzuhebende. Der wiederum ist aber auch ein ‘bisschen’ mehr als nur Rückbesinnung auf die Bibel, wie ua Max Weber herausgearbeitet hat.
Januar 14th, 2014 at 14:39
Im Grunde gibt es 3 Arten von Angelegenheiten:
1. Die Angelegenheiten Gottes
2. Die Angelegenheiten anderer Menschen
3. Die eigenen Angelegenheiten
Das Problem fängt bei mir da an zu wirken, wenn Art 1 und 2 in Art 3 herumpfuschen wollen.
Januar 14th, 2014 at 20:08
@Peinhart Würde ich nicht sagen. Da läge die Unterscheidung (oder liegt von mir aus) eher im ähnlichen Bereich wie bei Mensch in der Demokratie, im Faschismus oder im Kommunismus. Oder?
Es wurden zwar einzelne Strukturen geändert, aber nicht das eigentliche Kernelement.
Den ‘neuen Menschen’ (hört sich übrigens auch nicht sonderlich verlockend an, finde ich) sähe ich mehr in der Verinnerlichung echter anderer Werte. Oder auch alter Werte und diese zum ersten Mal wirklich und aufrichtig zu leben. Und eben nicht nur ein bisschen an einigen Schrauben drehen und den ganzen alten Ballast über verschiedene Wege importieren. Und dieser Mensch trägt in sich genug Einsicht, dass es der großen und übergeordneten Strukturen, die den Menschen angeblich vor sich selbst beschützen sollen und ohne die er sich in sein soziales Gefüge nicht fügen mag, nicht mehr wirklich bedarf.
Zusammenfassend würde ich wohl sagen, ein neuer Mensch wäre einiges weniger an Theorie und deutlich mehr an verantwortlichem Leben. … das trifft es jetzt leider auch nicht so ganz und ist wahrscheinlich unverständlich, aber außer total langatmig krieg ich das jetzt nicht zusammengefasst, was ich meine. Aber vielleicht verstehst du mich trotzdem. Ein bisschen. Ein ganz kleines bisschen. ;o)
Januar 14th, 2014 at 21:14
Betreffs neuer Mensch: Aber es stimmt schon. Der lutherische oder besser reformatorische Mensch passt nicht in dieses patriarchalische Bild, das flattr in seinem Post entwirft. Siehe Thomas Münzer, siehe Ernst Bloch und siehe dann wiederum die Heldenverehrung der DDR, die ja eher nicht dem Katholizismus allzu nahe stand.
Also der Rückschluss: Auch bei den Katholiken war die Welt nur so in Ordnung, weil sie sich die Welt so schön ordentlich aufgebaut hatten. Gott sollte man da vielleicht aus dem Spiel lassen… Das “irdische Höllenfeuer”, wie es oben so treffend heißt.
Januar 14th, 2014 at 22:29
@Peinhart: Mein Fehler. Ich hatte tatsächlich nicht Gaus als “lutherisch Geprägten” im Sinn, als ich schrieb, was ich schrieb, sondern doch eher den Beginn des Protestantismus mit Luther und dessen Selbstverständnis, wo der “kleine Mann” wohl Hoffnung schöpfte, daß da wer kam und die Menschen von den verkrusteten Zwängen und Gepflogenheiten des Katholizismus zu befreien schien, nur um dann festzustellen, daß das alte Lied mit neuen Tönen weiter gespielt wurde.
Das, und wozu, sich der Protestantismus im Laufe der Jahrhunderte weiterentwickelte, hat M. Weber in der Tat gut beschrieben, aus dieser Sichtweise ist der “lutherisch Geprägte” natürlich nochmal ‘ne andere Nummer als “der Mensch” vor und zu Luthers Zeiten. Zumindest ein ‘bißchen’.
Beim “neuen Menschen” habe ich im Übrigen ganz große Schmerzen, teile die Skepsis von Gaus und würde dessen “womöglich” noch streichen wollen. Was Uena skizziert, und was ich ähnlich sehe, ist quasi ein ‘evolutionärer’ Sprung im Geiste, den herbei zu führen ich für nahezu unmöglich halte (zumindest kurz- oder mittelfristig). Alle Versuche sowas den Menschen ‘überzuhelfen’ (Maos Kulturrevolution, die roten Khmer u.a.) ist imo nichts, was dauerhaft funktioniert und vor allem eins: nichts, was ein Mensch der noch alle Tassen im Schrank hat haben wollen würde. Mit Watzlawick gesprochen eine Patendlösung.
Einzelne Menschen mögen sich selbst in eine solche Richtung bewegen können, allein die Nachfolgenden werden auch immer von denen mit den alten Mustern und Symbolen und nicht zuletzt den herrschenden Systemen geprägt werden. Ganz schön verfahren das.
Januar 14th, 2014 at 22:52
@25 Uena
Ich glaube, ich verstehe dich mehr als nur ein kleines bisschen ;-)
cu
renée
Januar 14th, 2014 at 23:46
Renée, gut, dann ist es vielleicht nicht so krude, wie ich befürchtet habe. Manchmal verstrick ich mich hier einfach mit dem, was ich sagen will und was dann am Ende bei rauskommt. Stille Post mit mir selber quasi… muss man auch erstmal schaffen.
(Maybe that’s my superpower? *g* Dann geh ich mir schon mal nen Kostüm schnitzen und mein Helden-Symbol wird das Fragezeichen! *g*)
?
Januar 15th, 2014 at 08:44
Ich mag diesen Terminus ‘Neuer Mensch’ genausowenig, und meine Skepsis ist sicher auch nicht von Pappe. Immerhin bedurfte es einer ‘Reformation’, und ohne die anschliessende ‘Aufklärung’ wäre es auch nicht weitergegangen. Beides momentan eher nicht in Sicht. Und so ein Prozess braucht Zeit, auch die scheinen wir kaum noch zu haben. Aber immerhin wäre es möglich.
Das ? scheint mir ein ausgesprochen passendes Symbol zu sein, für uns alle hier…
Januar 16th, 2014 at 09:20
“Neuer Mensch” ist wohl auch nicht der passende Ausdruck. Irgendwie sind die Menschen in den entwickelten Industrieländern gegenüber ihren Vorfahren zu Beginn der Industrialisierung auch “neu”. Der Kapitalismus hat sich die Menschen insgesamt gesehen schon an seine Notwendigkeiten angepasst, und das lief nicht gerade friedvoll ab.
cu
renée
Januar 16th, 2014 at 10:31
Man könnte aber auch sagen, dass das zu Anfang der Industialisierung erst sozusagen ‘embryonal’ vorliegende atomisierte Konkurrenzsubjekt mit der Zeit immer mehr ‘zu sich kommt’, sich mit der Zeit erst ‘verwirklicht’. Das läuft bis heute ‘nicht gerade friedvoll’ ab, und macht es gewiss nicht einfacher. Man kann eigentlich nur auf eine Art Kippeffekt hoffen, wenn es trotz eines immer größeren Maßes an innerlicher Selbstverstümmelung sich den ‘Anforderungen des Marktes’ immer weniger gewachsen fühlt. Hoffen, wie gesagt…
Januar 16th, 2014 at 21:56
@32 Peinhart
Der Mensch ist so ziemlich das anpassungsfähigste Lebewesen, was seine “Veranlagungen” betrifft. Das kann man sowohl positiv als auch negativ betrachten. Was wann wo wie in welche Richtung kippen könnte, das werde ich dann mit größter Aufmerksamkeit verfolgen ;-)
cu
renée