Ich hatte dieser Tage einige Gespräche mit jemandem, der sich erklärtermaßen nicht sonderlich “für Politik interessiert”. Der Mann hat hier und da seltsame Ansichten, und als ich jung war, hätte ich ihm vermutlich Tiernamen gegeben und ihn für hoffnungslos unwürdig erklärt. Stattdessen nahm ich seine Erlaubnis über uninteressante Dinge zu sprechen wahr, um ihm einige interessante Informationen zu geben; prüfbare Informationen, die er dann tatsächlich auch ganz interessiert aufnahm.
Derselbe sprach mich heute ganz von selbst auf das Thema Ukraine und Konvoi an; da hatte ich noch gar nicht zur Kenntnis genommen, was gleich noch folgen wird. Ehrlicherweise sagte ich, dass ich nur zwei Quellen hätte, aus denen ich Informationen dazu hätte, nämlich das, was die versammelte Journaille so recherchiert hatte: Die Ukrainische Regierung und Ria Novosti. Was soll ich mit solchen ‘Informationen’? Die meisten benennen dabei nicht einmal Poroschenkos Kriegspartei, und im Internet Zeitung lesen kann ich eh selber. Dazu brauche ich keine Zweitverwerter.
Abschreiben, verkünden, vollstrecken
Einen Schritt zurück kurz: Ich hatte mir eh gestern schon folgendes notiert:
“In Spanien gibt es einen Ebola-Verdachtsfall“, meldete die FR. Soso, einen “Verdachtsfall”, und das ist dann eine Meldung? Wieso? Es kann nur einen Grund geben: Klingt gefährlich, erregt Aufmerksamkeit. Hat aber null Inhalt. Kann man da nicht warten, bis sich das bestätigt hat oder eben nicht? So geht Qualitätsjournalismus.
Die nächste: “IS-Miliz soll 700 Stammesangehörige getötet haben“, steht in der Sueddeutschen und einem Dutzend anderer Medien, wird auch im Radio erzählt. “Soll”, könnte, hat vielleicht, vielleicht auch nicht. Ist das eine Meldung? Und was habt ihr für mich dahinter? Waren es vielleicht mehr oder weniger als 700? Vielleicht hat das gar nicht stattgefunden? Oder es hat etwas stattgefunden, man weiß aber nicht, wer, wo und was genau? Q-Journalismus halt.
Derweil hört man nach der gespielten Empörung der Propaganda überhaupt nichts mehr vom Flugzeugabsturz in der Ukraine. Nicht einmal Fragen. Der “Spiegel”, das Hetzblatt für transatlantische Gemütlichkeit, hatte doch so auf die Trommel gehauen. Was ist denn nun, ihr Superreporter? Kuhjournalismus ist, und die Viecher wieder im Stall. Auf jedem Dorf kriegst du Watschen, wenn du so einen Mist verzapfst und dann so tust, als hättest du nie etwas gesagt.
Suche nach dem Tiefpunkt
So ist es auch derselbe Stall, aus dem ernsthaft ein zweifelnder Leser, der nach Belegen für Behauptungen fragt, abgespeist wird mit der Gegenfrage: “Gibt es eigentlich konkrete Belege, dass dem nicht so ist?”
So denken sie da. Es wird etwas verkündet, in der Regel auf Befehl aufgeschrieben oder stumpf abgeschrieben, und daran hat man gefälligst nicht zu zweifeln, bis das Gegenteil bewiesen ist. Der Leser ist hier dummer Untertan, sonst nichts.
In Grunde kann man sich solche Beispiele schon schenken, denn es gibt keinen Journalismus mehr. Wahrscheinlich wird dieser Nützliche Idiot noch einen Preis verliehen bekommen für seine treuen Dienste, so wie Obama den Friedensnobelpreis und Kleber den Hans-Joachim-Friedrichs-Preis. Diese Farce kann nämlich kein Ende finden, solange kulturell und intellektuell noch ein Stein auf dem anderen steht. Da gibt es immer etwas, das man noch nicht ganz ruiniert hat. Am Montag. Am Kiosk.
August 18th, 2014 at 17:59
>>> Der Mann hat hier und da seltsame Ansichten, und als ich jung war, hätte ich ihm vermutlich Tiernamen gegeben und ihn für hoffnungslos unwürdig erklärt.
Nach diesen Eingangszeilen hatte ich für einen winzigen Augenblick die Hoffnung, ich sei es, der hier endlich ein Quentchen öffentliche Würdigung erfährt.
Wieder war es nichts, und um etwas Näheres über mich selbst, vielleicht noch ein, zwei Pfandflaschen und die Wahrheit in Sachen Ukraine zu finden, werde ich jetzt nochmal zu meinem persönlichen Papierkorb laufen.
August 18th, 2014 at 20:01
@flatter: Irgendwie ist Dir doch dieser “nicht an Politik interessierte” Mensch km voraus, oder nicht – was soll er mit solchen Infos, von denen Du erst ne Analyse machst, daß sie hohl sind – ob nun rationell oder gefühlsmäßig, er weiß: Is’ nich meins ;)
Das Ergebnis ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dasselbe – Ihr beide wißt, daß es eh nicht(s) für jeweis Euch ist.
(Wenn ihr das “jeweils” noch weglassen könntet, wäret ihr tolle ‘Verbündete’)
August 18th, 2014 at 20:20
@Wat.: Ich bin nicht gar so ergebnisorientiert ;-). Leider lässt sich der Mensch auch propagandistisch einlullen und macht sich die Sache damit oft recht einfach. Seine Abneigung mündet eben nicht wirklich in Ablehnung.
August 18th, 2014 at 20:37
Ich habe auch schon Ansätze/ Erklärungen von anderen (echt) verstanden ohne sie gut und für mich richtig zu finden – ich gestehe – ich binde dieses Ergebnis nicht immer dem Gegenüber auf die Nase, wenn er nicht direkt danach fragt… ;)
Verstanden habe ich es trotzdem und möglicherweise sogar die Argumentation als verständlich für mich ‘gekennzeichnet’ – andere Haltung von mir ist daraus aber noch lange nicht resultierend.
Hab ich mich dann propagandistisch ‘einlullen’ lassen oder den anderen ‘nur’ mit seiner Ansicht akzeptiert oder gar toleriert? (Frage ist rhetorisch)
August 18th, 2014 at 21:12
“Gibt es eigentlich konkrete Belege, dass dem nicht so ist?”
Danke, dass Du das aufgreifst. Es gibt da eine ganze Reihe logischer Fehlschlüsse, die man begehen kann. Das ist einer davon, nennt sich “burden of proof”.
Man stellt eine Behauptung auf und dann darf die angeschuldigte Partei den Gegenbeweis (für ihre Unschuld) antreten. Formale Logik (oder auch gesunder Menschenverstand) besagen, dass das nicht funktionieren kann. “Beweise” mal deine Unschuld gegen irgendwelche Vorwürfe. Edathi und andere lassen grüßen. Die Unschuldsvermutung ad absurdum geführt.
Behauptungen/Anschuldigungen müssen zwingend von demjenigen, der sie ins Feld führt, mit Belegen untermauert werden. Sonst ist es rein das Vertrauen auf die Quelle, was die Aussage glaubwürdig erscheinen lässt.
August 18th, 2014 at 22:51
@5 schön wäre es, würden sich die Menschen diese “Logik” (zumindest bei Nachrichten) nicht gefallen lassen.
Ich befürchte jedoch, die meisten Menschen (mindestens genug um Wahlen zu gewinnen) werden diese Argumentationsweise aber sogar eher noch für vernünftig halten, anders ist der Erfolg von Religion, Homöopathie, Astrologie und sonstiger Esoterik ja auch nicht zu erklären.
August 19th, 2014 at 03:32
ja, der peinsame beweislastumkehrspruch auf FB ist leider bis jetzt nur in den kommentarspalten thema gewesen. auch schade, das jensBerger einfach nicht den zusammenhang zwischen der propaganda, dem krieg, schlechtestem journalismus und dem von ihm verteidigten kapitalismus herstellen kann. *seufz*, bin ich gerade wieder ein korinthenkacker, der sich wie ein arschloch verhält? mir dreht sich nur noch alles….
August 19th, 2014 at 10:45
Ich finde es auch interessant, mal mit denen zu diskutieren, die anderer Ansicht sind und bei denen Propaganda offenbar “reingeht”. Es gibt dann unterschiedliche Reaktionen; die, die glauben “müssen” (Politiker, Journalisten) wechseln rasch das Thema oder rennen weg. Dann gibt es die, die unter der Hand sagen, dass sie einem Recht geben – es aber aus verschiedenen Gründen nicht offen zu artikulieren wagen, also nicht per Kommentar etc. Wenn man sich selbst immer mit “heiklen Themen” befasst, ist man aufmerksamer, könnte aber diese Aufmerksamkeit unweigerlich auch auf andere umlegen; denen wiederum fallen bestimmte Muster nicht auf (wie du in deinem Text beschreibst: wo bitteschön ist jetzt noch MH17 in den Schlagzeilen?, dafür empört man sich über einen russischen Phantomkonvoi und dergleichen…). Aber man kann Menschen darauf aufmerksam machen; gerade wenn man auch andere Kriegslügen (Irak, Libyen, der Versuch letztes Jahr gegen Syrien) heranzieht.
PS: ich veröffentliche gerade auch wegen der langfristigen Perspektive, die Willy Wimmer als langer politischer Erfahrung hat, auf meiner Seite gerne seine Kommentare, zuletzt
Willy Wimmer zum NATO-Gipfel im September
http://www.ceiberweiber.at/index.php?type=review&area=1&p=articles&id=3095
August 19th, 2014 at 10:59
Am Rande: Anständige Reporter erkennt man daran, dass sie verhaftet werden.
August 19th, 2014 at 11:35
Zwei kurze Schlaglichter auf das, was wir ‘Zivilisation’ zu nennen belieben. Der Firnis, so die allgemeine Rede, sei dünn, darunter lauere schon die ‘wölfische’ Natur des Menschen. Glaub ich immer weniger, ich denke es ist die Grundierung für eben jenen Firnis. Und der bringt auch immer weniger Glanz zustande…
August 19th, 2014 at 11:46
Zum Bild: Wie wir wissen, zeichnet sich der Wolf durch sinnlose Brutalität und den strikten Willen zur Vernichtung seiner Artgenossen aus.
August 19th, 2014 at 12:31
Richtig. Deshalb benutze ich’s auch so gerne. Man sieht sofort – da wird sich ausgekannt mit der ‘Natur’…
August 19th, 2014 at 15:18
“Verdacht auf Ebola” labert der Spon in der Headline, dann kommt:
“Eine 30-Jährige ist in einem Berliner Jobcenter mit Infektionssymptomen kollabiert. Weil ein Mitarbeiter der Behörde vermutete, die Frau könne an Ebola erkrankt sein …”
Wenn also ein Idiot von der Panikpresse angestachelt den Schwarzen Tod kommen sieht, nennt jene das “Verdacht auf” wie ein Arzt, der aufgrund einschlägiger Symptome eine genauere Untersuchung veranlasst. Das schnappt sie dann auf, um den nächsten Idiotenartikel rauszuhauen. Sind wir wieder beim Wolf: Diese Maulhuren rufen inzwischen zehnmal täglich “der Wolf ist da”, mithin ruinieren sie auch fröhlich ihre Möglichkeit, auf echte Gefahren aufmerksam zu machen.
August 19th, 2014 at 15:56
thewisemansfear (5)
Danke für die klare Nennung, dass es den Begriff “burden of proof” so gibt wusste ich nich (dass man das so bezeichnet), aber dass Sadam (z.B.) solches nich leisten konnte, schon.
@DKT (7)
Beweislastumkehr, jau!
August 19th, 2014 at 17:58
@8, Alexandra Bader
Diskutieren mit denen, die anderer Ansicht sind! Wobei ich deren Ansichten noch nicht einmal genau kenne. Habe das gerade mit deutschen Freunden erlitten.
Wobei ich ein Gespür dafür habe, ob da was in den Einstellungen zusammenpasst. Ich provoziere dann oft bewusst, um herauszufinden, wo sich mein Gegenüber “verortet”.
Oft zum Leidwesen meiner Besten, die Wert auf harmonisches, friedvolles Zusammensein legt.
Meistens ist das dann für mich ziemlich schnell geklärt und ich halte dann mein Maul.
Den Anspruch Menschen “aufklären” zu wollen, habe ich inzwischen aufgegeben. Habe auch festgestellt, dass sich in Gesprächen mit meinen Mitmenschen eine gemeinsame Basis oft von alleine einstellt. Und dann lohnt es sich zu diskutieren.
So als würde man ein Kainsmal auf der Stirn tragen und sich daran erkennen.
Wenn ich selber schon Schwierigkeiten habe mich von Informationsflut und Propaganda nicht blöd machen zu lassen, wie ergeht es dann anderen Menschen noch Orientierung zu finden, die ihre Lebenszeit mit Lohnarbeit, Haushalt, Kindern etc. verschwenden müssen und die ihr Leben als unabänderlich und naturgegeben betrachten.
Aufklärung halte ich immer noch für unbedingt notwendig. Leider findet sie dort nicht mehr statt, wo sie die Chance hätte, aufklärerisch zu wirken, bei der parlamentarischen Linken und in den Gewerkschaften.
Und dort müsste man sich mal richtig trauen und nicht immer vom linken aufs rechte Bein springen und umgekehrt.
August 19th, 2014 at 18:09
@10, Peinhart: Die Kommentare zu dem Ebola-Artikel… seit wann sind bei Heise dermassen viele Rechtsextreme unterwegs?
August 19th, 2014 at 21:54
@fe: TP kackt seit einiger zeit stellenweise ziemlich unschön ab; durchaus qua-VT-brüll-artikel, haufen neuer accounts seit anfang des jahres und dumpfes, persönliches einroten. scheint mir insgesamt die auswirkungen der “neuen”MontagsDemos zu sein. die qualitativen gegensätze der einzelnen artikeln scheinen mir extremer zu werden. olle rötzer wiederum bemüht sich neuerdings einer 1/2wegs unaufgeregten, sachlichen, “neutralen” schreibe. steht ihm (harhar, vielleicht holt er sich nur deswegen scheiss-autoren ins boot, damit er umso besser dasteht).
gerade nochmal nachgesehen; sind auch paar alte kameraden unterwegs, die neuerdings wieder aus den löchern kriechen…