justitAls Vernunft noch ein Konzept war, an das jemand glauben konnte, entstanden unter anderen die Vertragstheorien, auf denen der moderne Rechtsstaat und seine Jurisprudenz beruhen. Überhaupt liegt in der Weise Verträge zu schließen ein Kernelement der Gesellschaft. In persönlichen Beziehungen ist es nicht üblich, Vereinbarungen schriftlich niederzulegen, dies ist mehr dem geschäftlichen und behördlichen Bereich zuzuordnen.

Auch deshalb beschäftigen die Konzerne Armeen von Juristen, weil der Vorteil – nicht zuletzt durch Übervorteilung – im Detail liegt. Dafür sorgen nicht nur unübersichtliche Verträge, verworrene Gesetzestexte und sinnfreie Interpretationen des Gesetzes durch charakterflexible Richter. Auch Prozess- und Gebührenordnungen schaffen Fakten, ehe der Anlass des Streits überhaupt zur Sprache kommt.

Der Rechtsstaat seinerseits kann auf zweierlei Weise zum Tragen kommen: Durch den Glauben an Vernunft und das Bemühen, diese durchzusetzen, mithin also zweitens durch eine Haltung, die Vertrag und Gesetz mit einem Sinn zu verbinden trachtet. Diese Haltung aber wird an zwei Fronten attackiert: An der einen von jenen juristischen Pedanten, die glauben, man könne jeden Streitfall voraussehen und daher vorab gesetzlich regeln. Sie sorgen daher für jenen Dschungel großteils kreuz und quer liegender Regelungen, die bald nicht mehr in Einklang zu bringen zu sind.

Mythos Vernunft

Auf der anderen Seite springen ihnen jene Kollegen bei, die sich keiner Absurdität entblöden können, wenn es um den eigenen Vorteil geht. Sie legen Gesetze aus, als seien sie magische Formeln, deren Wirkung erst durch die Anwendung des Meisters dem Dunkel entlockt werden. So kann aus “muss” “darf nicht” werden und umgekehrt, aus dem Geschenk wird ein Verbrechen und der Diebstahl zur Pflicht – einer privilegierten Klasse, versteht sich. Kurzum: Aus Gleichheit vor dem Recht wird ‘gleicher’ vor dem Richter.

Selbst das alles aber spielt sich immerhin ab in gewissen Bahnen, im Rahmen eines Regelwerks. Das gemeine Volk hat hier schon resigniert; nur wer sich einen Anwalt leisten kann, hat noch Grund zur Hoffnung, und immerhin im Strafrecht ist die Versorgungslage mit Rechtsbeistand noch nicht ganz ruiniert. Was kommt also als nächstes, als letztes mithin, wenn die Gleicheren dennoch an den Mauern der Rechtsstaatsruine zu scheitern drohen?

Der Gesetzgeber selbst pfeift auf die Gesetze. Es wird jeder Rahmen gesprengt, ignoriert und unterlaufen, innerhalb dessen noch rechtliche Orientierung wäre. Verfassung? Völkerrecht? Was ficht’s uns an? Bis ein Verfassungsgericht geurteilt hat, ist lange hin. Fürs Völkerrecht gibt es eh keine bindende Instanz. Folter, Krieg und Mord sind daher ebenso Optionen wie Bürgerrechte.

Theorie der Verschwörung

Wohin führt das aber? Schaut man sich Versuche wie ACTA oder CETA an, oder den ESM, der nicht nur gegen das Grundgesetz verstößt, sondern auch gegen den Vertrag von Lissabon, so fragt man sich. was da eigentlich das Papier noch wert ist, auf den man so etwas druckt. Es ist rechtlich alles null und nichtig; dennoch wird es Praxis. Was bedeutet das?

Es bedeutet, dass ein herrschendes Konglomerat Verabredungen trifft und die Ergebnisse dieser Verabredungen aufschreibt, um sich daran erinnern zu können. Nichts weiter. Es sind Verabredungen organisierter Gesetzesbrecher, die sich auch nicht scheuen, den offenen Rechtsbruch noch öffentlich zu dokumentieren – wie zum Beispiel die Verkehrung des Art. 38 GG durch die Regierungsfraktionen im deutschen Bundestag.

Solche Verabredungen sind exakt Verschwörungen. Ihre Urheber haben derweil die Macht, sie nicht einmal zu verheimlichen. Von daher ist Politologie in diesen Zeiten notwendig Theorie der Verschwörung. Ich werde mich dem künftig intensiver widmen.

Original Bild oben (bearbeiteter Ausschnitt): Immanuel Giel (by Wikimedia Commons), CC BY 3.0