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Der Rückfall in Mythologie ist immer ein Symptom dafür, dass wer in der Moderne nie angekommen ist oder sie nicht mehr erträgt. Das Erstarren des Systems ohne auch nur die Aussicht oder große Idee einer Alternative leistet den Kräften Vorschub, die ihre Aktivitäten am besten gleich ganz auf die symbolische Ebene verlegen. Der Kapitalismus ist übermächtig, also erklärt man ihn implizit oder ganz offen für alternativlos, um eben irgendwelche Symbole zum Kulturkampf aufzublasen und das für Politik zu halten.

Ein Sportclub, der Jahrzehnte lang “Chiefs” hieß, also “Häuptlinge”, verbietet seinen Mitgliedern, Federn im Haar zu tragen. Das sei antirassistisch und löse Probleme, denken jene, die sich mit solchen nutzlosen Aktionen billige Aufmerksamkeit verschaffen. Auf der anderen Seite verklären selbsterklärte Helden und Opfer mit ganz großer Geste die Papiermaske zum Judenstern und die Pflicht zum Tragen dieses Schutzutensils in bestimmten Arealen für einen Holocaust. Kleiner geht’s nicht, und zwar nicht bloß, wie hier schon beschrieben, wegen der Inflation in der Aufmerksamkeitsökonomie, sondern auch, weil Mythologie stets aufs Ganze geht.

Geisterglaube

Es geht in den Narrativen der Mythologen immer um die ganze Welt, die geheimen Zirkel der Allmächtigen, den Kampf auf den Tod, totale Vernichtung oder den eben solchen Triumph. Wie schön, dass uns die Elendsphase des Kapitalismus eine weltweite Pandemie beschert, denn damit ist ja schon das endgültig Globale des Ereignisses gesichert. Jetzt muss nur noch der heldenhafte Kampf her. Der funktioniert paradoxer Weise sehr gut angereichert mit nationalem Pathos oder wenigstens solcher Ignoranz. Die Verschwörung ist zwar global, aber erst in nationales Geschehen zerlegt, kann man sich damit effektiv gegen allzu komplexe Befunde immunisieren. In Amerika sterben sie hunderttausendfach? Aber hier doch nicht; trotzdem werden wir noch schlimmer geknechtet!

Dasselbe haben wir längst unter denen, die ihre Nische im Kapitalismus polstern, sprichwörtlich Sicherheitszonen fordern, wo ihnen kein Leid mehr geschehen kann, während die wütende Ausbeutung Failed States, Hungertote und Fenstersprünge als alltägliche Kollateralschäden hinnimmt. Da kann man nichts machen. Für den Fall aber, dass eine Handvoll transsexueller Menschen sich durch die deutsche Sprache beleidigt fühlt, muss diese zur Unleserlichkeit geändert werden, das ist dann der große Freiheitskampf der ‘Linken’.

Darunter und buntgemischt tummeln sich Homöopathen, Esoteriker, Spiritualisten und komplette Spinner, sodass man beinahe die traditionellen Anhänger unsichtbarer Wesen vergisst. Deren Organisationen sind allerdings so eng mit dem Establishment verbunden, so korrupt, kriminell und widerwärtig, dass ihr Einfluss langsam, aber immerhin, nachlässt. Dummerweise aber ausgerechnet dort nicht, wo die öffentliche Kommunikation bestellt wird: in der Mittelschicht und ihrer politischen Vertretung, die durchsetzt ist von Pfaffen und Kirchenfunktionären und die obendrein von einer ‘christlichen’ Partei dominiert wird.

Das große Märchen

Im Grunde ist also das Establishment ein guter Grund und Anlass, umso aufgeklärter dagegenzuhalten. Die Dekadenz ist aber zu weit fortgeschritten, und mangels Aussicht auf positive Veränderung wird das Vakuum vorläufig besetzt durch Endzeitpropheten und andere Märchenerzähler. Deren Vorteil liegt auf der Hand: Sie haben für jeden Geschmack eine Story zu bieten und laufen auf der Höhe ihrer Widersprüche erst zu ganz großer Form auf, wo rational orientierte Geister schweigen und grübeln.

Der ganze Salat wird vorzüglich angerichtet in den Schüsseln, wo jeder Depp sich ein Kostüm seiner Fa­çon umhängen kann, um – der kaputte Zustand wird ja herzzerreißend adäquat durch die Kulturindustrie gespiegelt – als einer von tausend Superhelden oder rülpsendes Ekelpaket der Zombieapokalypse herumzuschlurfen. So weit, so elend, und wie immer ist der Clou der Angelegenheit, dass sich niemand angesprochen fühlt. Man hat sich schließlich informiert!