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Neulich erhielt ich folgende Mail:

Ko-Autoren gesucht

Sie sind zuverlässig, flexibel und gespannt darauf, sich einem Angebot der systemprägenden Qualitätsmedien anzuschließen?
Sie sind bereit, die Wahrheit auf Basis von Fakten zu publizieren, die das Kanzleramt Ihnen tagesaktuell zur Verfügung stellt?
Sie moderieren in Echtzeit in Meinungen, die auf Fake News beruhen oder die öffentliche Ordnung gefährden könnten?
Sie lassen Experten aus dem Stab der Regierung zu Wort kommen und erläutern sensibel die schmerzhaften, aber notwendigen Maßnahmen, die daraus folgen?
Sie setzen vernünftige Prioritäten?
Sie legen die Motive der kompetenten Entscheider verständlich dar?

Dann schließen Sie sich uns an! Wir, die Geläuterte Linke der kritischen Autoren, heißen Sie willkommen. Es gibt Häppchen.

Honey Trap

Häppchen! Das konnte ich mir nicht entgehen lassen, bin ich doch ohnehin schon genetisch bedingt stets der am schlechtesten Angezogene und als Erster am Buffet; mehr aber noch lockte mich die Aussicht auf Party, Cocktails und Canapés, während man dem Plebs draußen verbietet, eine Kneipe zu betreten. Ich fuhr also zu der Adresse, die in der Mail genannt war.

Von außen unscheinbar, war das Gebäude innen umso beeindruckender. Viel Marmor, aber auch dunkles Holz, von einem beliebten Innenarchitekten zu einer geschmackvollen Komposition vollendet. Es begrüßte mich ein salopp, aber stilvoll gekleideter 40er, der sich als “Steffen Sesse” vorstellte. Er führte mich ohne Umschweife zur Bar, das Buffet war gleich daneben aufgebaut. Eine Handvoll weiterer Gäste standen umher und unterhielten sich.

“Vorab unser erstes Geschenk an Sie – wenn sie bitte kurz den Ärmel hochkrempeln wollen”, sagte Sesse, und eine atemberaubende Schönheit trat an mich heran, die auf einem kleinen Silbertablett eine gläserne Spritze, einen Tupfer und ein Pflaster brachte. Sie übergab das Tablett dem Kollegen, zog den Schutz von der Spritze, verabreichte mir eine völlig schmerzlose Injektion, reichte mir den Tupfer, wartete ein paar Sekunden und klebte dann das Pflaster auf die Einstichstelle. Dann verließ sie uns, während meine Blicke ihr folgten.

Angekommen

“Es gibt also tatsächlich einen Erreger”, stellte ich fest.
Sesse lächelte und antwortete: “Es gibt immer einen Erreger. Mindestens. Was wir Ihnen da gerade injiziert haben, wird Sie über die nächsten Jahre bringen, auch wenn sich weitere – Überraschungen – ereignen sollten. Aber kommen wir zum eigentlichen Geschäft, ehe ich Sie den Annehmlichkeiten dieses Etablissements überlasse: Wir bieten Ihnen regelmäßige Einkünfte in der Höhe, die ein Spitzenautor wie Sie verdient hat. Sie schreiben weiter wie bisher und stellen sicher, dass Ihre Leser dann und wann auf bestimmte Informationen aufmerksam gemacht werden. Sie werden einfach weiterhin eine Stimme der Vernunft sein. Sollten wir bestimmte Irrtümer oder Fehler bemerken, werden wir das kritisch anmerken und Ihnen Material liefern, anhand dessen Sie sich korrigieren können. Manchmal haben wir als große Institution Informationen früher als Sie, das liegt ja in der Natur der Sache. So weit einverstanden?”

“Im Prinzip ja, aber was ist, wenn ich es mir anders überlege?”

Sesse lächelte wieder, diesmal auffallend asymmetrisch.
“Das werden Sie nicht. Wir haben Sie nicht zufällig ausgewählt. Machen Sie sich keine Gedanken. Sollten Sie sich je umentscheiden, werden wir sicher eine Lösung finden. Aber genießen Sie zuerst einmal den Abend und lernen Sie neue Freunde kennen. Es wird Ihnen gefallen.”