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Die Strategien, mit denen sich die Menschen aus ihrer meist unbewussten Not zu retten versuchen, sind oft fatal. Vor allem in Gesellschaften, die religiös geprägte Muster anbieten, welche ihrerseits wiederum tief in den Haltungen, Vorstellungen und Narrativen stecken – wie etwa in der Arbeitsethik. Anstatt Arbeit als Übel zu betrachten, dem man möglichst wenig Zeit opfert, anstatt Ausbeutung anzuprangern und sich mit denen zu solidarisieren, die darunter leiden, trampeln allen voran deutsche ‘Arbeitnehmer’ missgünstig aufeinander herum, als sei es das allerhöchste Ziel, andere zur Maloche zu treiben. Dafür werden gleichermaßen Gefühl und Verstand betäubt, um sich am Ende jeweils selbst zu schaden.

Im dumpfen Gefühl der Einsamkeit, in der Überforderung als ‘Individuum’, Einzelkämpfer und Statuskonkurrent, meldet sich die taube Stelle, an der eigentlich das Bedürfnis nach Zugehörigkeit sitzt und schreit nach Ersatzbefriedigung. Längst ist dem trainierten Bürger, ganz auf den Bedarf und die Ideologie des Kapitalismus zugerichtet, Seinesgleichen zuwider. Die Anderen stinken, haben Meinungen, machen einem den Platz streitig; das will man nicht auch noch in der Freizeit haben. Was tun?

Wir ihr sie

Eine der attraktivsten Strategien liegt hier nahe: Wenn man schon den Planeten mit diesen Anderen teilen muss, dann wenigstens nicht auch noch die ‘Heimat’ mit Fremden. Schnell finden sich welche, deren Ansprüche man gänzlich zurückweisen kann, mit denen man also wenigstens die Konkurrenz verweigert. In einem Aufwasch bietet sich hier endlich die Aussicht auf Identifikation mit einer Gruppe, die einem nicht wehtut und nicht ablehnen kann, weil sie komplett abstrakt ist: Die Nation.

Der gehöre ich an, ganz gleich, was ich tue oder lasse. Andere wiederum eben nicht. All die Zwänge, unter denen ich täglich stehe, die Rücksichten, der Verzicht, Pflicht und Gehorsam, hier hören sie auf. Hier gehört der Nationale der überlegenen Gruppe an und kann als deren Teil anklagen, urteilen – und im Extremfall auch vollstrecken. Die ganze Macht der Nation scheint im Einzelnen gebündelt, der sich mit ihr identifiziert.

Nie genug

Ein schales Vergnügen, denn zunächst erweist sich diese Macht als eine, die dem Individuum, das sich an ihr weiden will, sogleich wieder entfleucht. Ein Kommentar im Internet, ein bisschen Gegröle im Stadion, ein paar Kraftworte beim Gespräch auf dem Gang, das war’s dann auch schon wieder. Befriedigung kann sich so nicht einstellen, was viele zur Eskalation treibt. Es ist alles so ungerecht, dabei ist doch klar, wer Herr im Haus ist und wer Eindringling, wer Täter ist und wer Opfer.

Weil sich das Ganze im luftleeren Raum abspielt, vollkommen abstrakt bleibt, kann sich um so weniger jegliches Erfolgserlebnis einstellen. Man erlebt ja gar nichts. Eine ideale Schnittstelle für Wahn und noch mehr Aggression – übrigens umso besser, je weniger Fremden man begegnet. Daher muss der Kreis der Feinde ausgedehnt werden: Freunde und Helfershelfer der Fremden, die sie bevorzugen, hierher holen und mit ihnen unter einer Decke stecken. Dumm nur, dass man die vermeintlich Schuldigen (Danke, Merkel!) ebenfalls nie zu Gesicht bekommen wird. Dann hockt man sich halt mit welchen zusammen, die es ihnen allen zeigen werden, wenn ihre Macht endlich konkret werden wird.