KI und Kapitalismus (9): Glaube und Wahrheit
Posted by flatter under kapital , ki[21] Comments
11. Aug 2019 20:21
Er ist dick, trägt einen weißen Bart, rote Klamotten und einen Sack auf dem Rücken. Was ist das? Richtig: Der Komparse von Coca-Cola. Millionen halten ihn dennoch für den “Weihnachtsmann”. So ist das mit der Mythologie. Wenn man nicht fest an sie glaubt, fällt sie der Lächerlichkeit anheim.
So ist das auch mit der Computertechnik. Es ist völlig egal, welchen Buzz aus dem großen Bingo man den Leuten um die Ohren haut, es ist großes Raunen, mächtige Magie und Uiuiui. Die es besser wissen, spricht man nicht an. Denen haut man damit nur seit Jahrzehnten immer auf dieselbe Stelle. Cyber, Cyber! Blockchain! Hacker! Digitalisismusifizierung, Kaa Iih! Es ist exakt dasselbe wie Abrakadabra oder lateinische Messen. Auf die Knie, staunen, Fresse halten – oder mitsingen!
Was wir wissen
Was ist KI®? In der Regel das Füttern von Datenbanken, selektive Abfragen und Analyse der Resultate – ggf. in Endlosschleife. Ich will mich heute einmal mit letzteren befassen. EDV-gestützte Prozesse führen zu Ergebnissen. Diese werden publizistisch als ‘Wahrheit’ verbreitet. Kaum jemand kann das kontrollieren, widerlegen oder bestätigen. Wer also die Macht hat, Resultate zu erzeugen und zu verbreiten, bestimmt den Dikurs. Dies ist völlig unabhängig davon, ob das der größte Stuss ist oder seriöse Wissenschaft.
Ein ganz wunderbarer Nebeneffekt – je nach Blickwinkel auch der Zweck der Übung – ist wie an allen Ecken und Enden des Problems die Intransparenz des Verfahrens. Am besten (auch hier reicht wieder die Behauptung) man beruft sich auf Machine Learning® oder Deep Learning®, dann hat die Magie der Maschine unwiderruflich entschieden. Wie immer ist niemand verantwortlich und der quasi göttliche Ratschluss unergründlich. Wie ausgesprochen praktisch!
Was ihr wissen sollt
Was wir also derzeit unter dem Etikett “KI” erleben, ist eine Steigerung der Prostitution, die in den Wissenschaften zu demselben Rückfall in religiöse Strukturen geführt hat, nur dass das KI-Gebrabbel von Anfang an eng mit PR verwoben ist. Man muss es halt glauben oder nicht. So wie das Publikum in wissenschaftlichen Angelegenheiten überfordert ist, immerhin aber noch theoretisch beurteilen kann, ob eine Veröffentlichung seriös ist, findet ‘KI’ gleich in der Black Box statt.
Tatsächlich ist es daher wesentlich preisgünstiger, die Nutzung aktueller Datentechnik lediglich zu behaupten, wenn es um die Ergebnisse sog. “Studien” geht. Der publizistische Clusterfuck ist garantiert; seriöse wissenschaftliche Falsifizierung? Die wird eh meist schon in der Fragestellung abgehängt. So weist man flugs mit ‘KI’ nach, wer ein Krimineller ist, wer schwul oder lesbisch – anhand der Gesichtsform! Alles bereits von KI® i.e. einer Software zur Gesichtsanalyse auf Fotos geleistet. Die kann halt alles besser. Ich habe hier übrigens schon eine Maschine stehen, die erkennt anhand des Fingerabdrucks einer Person, ob sie ein Terrorist ist. Ja sicher.
Alle Artikel zum Thema in Reihe gibt es hier.
August 12th, 2019 at 12:28
Gefahr für Herrschaft geht immer von Personalisierung aus. Systeme verstehen die wenigsten Menschen, daher bekämpfen sie meistens “Gesichter”.
Bestes Beispiel ist der bei Sozialdemokraten unausrottbare Glaube an einen “zähmbaren” Kapitalismus.
KI ist der Weg Herrschaft für 90% aller Untertanen unsichtbar zu machen, die restlichen 10% werden assimiliert oder liquidiert.
Die legitimen Nachfolger von Priestern und Imamen werden dann KI-Auguren.
Gegen einen angemessenen Obulus werden sie den Betroffenen den “unergründlichen” Ratschluss der KI und ihrer weisen Ratgeber, den Algorithmen, erläutern.
August 12th, 2019 at 19:50
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“Vielleicht nicht unbedingt aus dem All, aber von sehr viel weiter entfernt werden wir zukünftig Menschen erkennen”, zitiert der “MIT Technology Report” Steward Remaly. Dieser leitet im Pentagon das Büro für die technische Ausstattung der Anti-Terror-Einheiten.
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Aber natürlich nur zur „Terrorismusbekämpfung“, die steht nämlich ganz oben auf der Liste.
Link
August 12th, 2019 at 20:15
@Fred: Ähem…Pentagon…Tagesschau. Und dann noch eine Meldung über eine Geschichte, die unseren Verbündeten einen militärischen Vorteil einräumt? Die wollen uns also zum x-ten Mal erzählen, dass man Menschen gezielt
ermordentöt..erkennen kann.Sagen wir’s mal so: Eine Studienkollegin machte 1992 ihre Diplomarbeit im Bereich Spracherkennung. Sie bekam für ihre Ergebnisse 5000 DM und natürlich eine 1.0 ins Diplom.
Diese Wochen lasen wir nach und nach, dass ausnahmslos alle Anbieter von Spracherkennungssoftware (Alexa, Cortana, Siri, …) Menschen mithören lassen, damit Erkennungsfehler ausgemerzt werden.
Anderes Beispiel: IBM begann in den Siebzigern mit der Erkennung von Handschrift. Glaubt jemand, dass das heute ohne Fehler funktioniert?
Weißte was? Ich halte die Meldung für dämliche Propaganda, die flatter bereits mit dem letzten Satz abgehandelt hat.
August 12th, 2019 at 20:48
Ich arbeite derweil an einem Fußschweissdetektor, den man in die Fußböden öffentlicher Gebäude usw. Fördermittel sind beantragt.
August 12th, 2019 at 20:53
Ich verlinke mal ein Online-Büchlein zum Thema, was zunächst sehr gut die Begriffe erklärt: Deep Learning with Python
@Peinhart: Fußschweiß..Da war doch mal was.
p.s.: Auch lustig: Skynet Today
Zum Bleistift: Artificial Intelligence — The Revolution Hasn’t Happened Yet
August 12th, 2019 at 21:18
“Ah, that explains why we started seeing an uptick in Down syndrome diagnoses a few years ago. That’s when the new machine arrived.” Hammer! Erinnert mich mal wieder an das schallende Lachen von meinem Freund Mathes, alles ich ihn in Bezug auf Klinikrtze frug: “Was sind das denn für Wissenschaftler?!”. “Das sind Ärzte”, sagte er, “keine Wissenschaftler.”
p.s.: Hm, schon wieder so’n Roman. Vielleicht später zuende lesen.
August 12th, 2019 at 22:04
So; ein wunderbarer Artikel: Präzise, leicht verständliche Sprache (und ich bin kein Anglistizist, nur geübter Leser) und vor allem eine intensive Problematisierung des Begriffs und seiner Varianten. Ich könnte das beinahe alles unterschreiben, bis auf … ja, da isses schon wieder. Die Bedingungen, die der Kapitalismus der Infrastruktur aufzwingt, bleiben außen vor, bis hin zu einem naiven Begriff von “markets“. Daher auch der Irrtum: “… an engineering discipline can be what we want it to be.” Man müsste nur wollen.
August 12th, 2019 at 22:40
Die allermeisten Ingenieure und Wissenschaftler sind zufrieden, wenn sie ihre Spielwiese haben. Wer oder was diese zur Verfügung stellt, ist ihnen ziemlich wumpe, behaupte ich einfach so.
Deshalb ist die Idee, dass Kapitalismus durchaus verhindert und nicht fördert, höchstens jenen vorbehalten, denen der Geldhahn abgedreht wird. Warum das dann passiert, lässt sich problemlos auch innerhalb der K-Blase erklären. Sie waren dann eben nicht erfolgreich in ihrem Fachgebiet und eine Alternative gibt’s ja nicht.
Völlig OT: Gruß an “Dark Star”: The harrowing story of the Nagasaki bombing mission
[..] “Hey, Commander, Ashworth, Dick.” Barnes called him first by rank, then last name, then first name, with increasing terror. “Hey, we got something wrong here. We got a red light going off like the bomb is going to explode right now. Armed, it’s armed. Fully armed, look at this. Can you take a look, what is going on with this?”
A red light that had been blinking steadily suddenly sped up, flashing a dire warming.
Ashworth said he shook himself awake. “Are you sure? Oh my God.” He saw the red light. “There is something … do you have the blueprints? This bomb can pre-detonate if we drop below a predetermined level. What’s our altitude? Where are the blueprints?”
Barnes and Ashworth unrolled the blueprints and started checking. They took the casing off the bomb, and scrutinized the switches. After 10 tense minutes, they saw the problem. Two switches had been reversed, a mistake in the arming process. Barnes flipped the two tiny switches into their proper positions and the red light stopped blinking. [..]
August 13th, 2019 at 08:32
Wenn man schon ein paar Jahrzehnte in der IT gearbeitet hat, dann kann man den Stuss eh nicht mehr ernst nehmen.
KI ist aber tatsächlich eine besonders schöne Steigerung. Intelligent ist an dem ganzen Müll null. Das sind neuronale Netze, die ganze genau eines können: Mustererkennung und wem das bereits ausreicht um von Intelligenz zu schwafeln, dem ist eh nimmer zu helfen.
Zum Thema Kapitalismus: Letztes Wochenende hatte der Presseclub den Klimawandel zum Thema. Das war ein wunderschönes Beispiel dafür wie alle gekonnt um das Kernproblem herumschiffen. Um so lächerlicher klangen dann auch die Lösungsideen. Da steht ein Monster im Porzelanladen, welches alles in Stücke kloppt und die Umstehenden zermatern sich den Kopf darüber wie man den Scherbenhaufen in den Griff kriegen kann. Aber so ist das wohl mit der Ideologie. Da wird das Monster unsichtbar.
August 13th, 2019 at 11:23
Was wäre ich enttäuscht gewesen, hätten wir die Grenzen des Schwachsinns schon erreicht. Dümmer geht ümmer. Auf der anderen Seite ist es ja schön, dass Psychotiker auch im Schub noch Arbeit haben.
August 13th, 2019 at 18:47
Das Beste ist natürlich immer noch KI kombiniert mit allen Abarten von VR. Sagt nix aus, verkauft sich aber.
August 13th, 2019 at 22:50
OT: Habt ihr dieses schöne Propagandastück gesehen: Alte Bündnisse – neue Bedrohungen
Hurra, hurra, ich glaub’ die Wochenschau ist wieder da!
Wie youtube unser Hirn ficken will: Deep Neural Networks for YouTube Recommendations (pdf, 8 S.)
(via: Como o YouTube se tornou um celeiro da nova direita radical)
Dazu: How YouTube Radicalized Brazil
August 14th, 2019 at 11:37
@R@iner: Tschuldigung für die späte Antwort, ich war Gestern offline (ich brauch das ab und an mal).
Ich bezog meinen Link auf flatters letzten Satz. Hätt ich dazu schreiben sollen, sorry.
August 14th, 2019 at 19:05
@Fred: Alles gut!
August 14th, 2019 at 20:18
Ich hasse diesen Spruch… am meisten natürlich in der Frageform, die mittlerweile fast flächendeckend die gute alte Frage ‘Wie geht’s?’ abgelöst zu haben scheint. War die wenigstens noch potentiell ‘ergebnisoffen’, ist ‘Alles gut?’ einfach nur noch suggestiv und signalisiert zugleich, das den Frager eine gegenteilige Auskunft nun wirklich nicht interessieren würde. Entsprechend sind die Reaktionen auf ‘Keineswegs!’ oder ‘Wo leben Sie denn…?’…
August 14th, 2019 at 20:35
Ich hätte auch schreiben können: “Es gibt keinen Bedarf für eine Entschuldigung, weiß ich doch, dass Du – abgesehen davon, dass hier niemand antworten muss – in einer anderen Zeitzone unterwegs bist, lieber Fred.”
Alles gut eben. ;-p
August 14th, 2019 at 20:38
Und ich hasse es, wenn alltägliche Begriffe verballhornt werden, also statt Tagesschau “Tagesmärchen, “Spiegel Onschleim” usw. usf. – wer die Tagesschau glotzt soll sie glotzen, wer Spiegel Online liest, soll es lesen , aber dann bitte nicht auch noch kommentieren “vor längerem schrub ich dasselbe nur besser” oder “wie ich unlängst schrub, aber keiner hört mir zu”. Aber eigentlich hasse ich es nicht, sondern nur die Distanzierung, erst raushauen und sich gleichzeitign distanzieren (scherz!). Nichts für ungut, alles gut!
August 15th, 2019 at 08:33
Mal ein etwas substantiellerer Artikel zur ‘Digitalisierung’.
August 15th, 2019 at 18:47
jemand schrieb auf meinem blog, bei feynsinn gäbe es nabelschau. wo finde ich die denn hier?
August 15th, 2019 at 18:52
Ich kann gern mein T-Shirt anheben, wenn es dich glücklich macht ;-)
August 16th, 2019 at 08:40
Derweil verkündet in La-la-Land der Windows Anmeldebildschirm:
“Sie wollte fotografieren. Er wollte englischsprachige Filme verstehen. So hat KI den beiden geholfen.”
“KI ermöglicht eine neue Art des Fernsehens.”
“KI verbindet Menschen.”
Steht alles bei Microsoft. Würg.