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Anlässlich seines Neunzigsten gab es kürzlich die unvermeidlichen Elogen auf Jürgen Habermas, einem treuen Begleiter des deutschen Narrativs, der als Herrprofessor die Instanz war für schlaues Zeugs, das niemandem wehtut. Nun, auf meiner Seite war der Schmerz gelegentlich erheblich, und schlau fand ich das Gequatsche schon gar nicht.

Nach Kant und Nietzsche waren es Denker der Frankfurter Schule, die mich geprägt haben: Adorno, Horkheimer und Marcuse. Eine ähnlich einschlagende Wirkung hatte danach nur noch Foucault. Ich kann von deren Schriften aus dem Stand stundenlang begeistert dozieren, sie zitieren und erklären, was mich daran fasziniert. Aber Habermas?

Er dürfte von denjenigen, die mich nie interessiert haben, derjenige sein, von dem ich am meisten gelesen habe. Seine Leistung: Als Nachfolger Adornos hat er alles kassiert, was die Alten an kritischem Potenzial aufgebracht hatten und durch die matschige Restauration eines Vernunftbegriffs ersetzt, der mit der Demokratisierung der Naziherrschaft nicht in Konflikt geriet.

Scheinriese

Man muss ja nur seinen weitgehend unbekannten Kollegen Wolfgang Fritz Haug lesen, um den Unterschied zu erkennen. Haug hat von Anfang an aufgezeigt, dass es stinkt im Staate; Habermas hat lieber an die von ihm verwaltete Vernunft appelliert. Haug ist Marxist, Habermas Sozialdemokrat, die Karrieren vorprogrammiert – wenn man davon absieht, dass Haug eigentlich aus dem Lehrbetrieb hätte entfernt werden müssen. Ob Haug als ‘Linke’-Mitglied inzwischen auch als Sozialdemokrat gelten muss, mag ich hier nicht bewerten.

Was mir aufstößt, sind zwei Dinge, die mich zu dieser Einlassung bewegen: Inhaltlich kann ich mich an nichts, aber auch gar nichts Substanzielles erinnern, und zwar auch und gerade in Habermas’ Äußerungen zum Tagesgeschehen, für die er so hochgelobt wird. Ich kenne auch niemanden, der das könnte. Ein Ereignis, anlässlich dessen man sich von ihm durchgerüttelt fühlte? Eine scharfe Kritik? Ein relevanter Änderungsvorschlag? Nichts. Dafür ist der Betrieb seinem Star offenbar dankbar.

Damit verbunden ist zweitens das völlige Fehlen eines radikalen Zweifels, wie er noch seine Vorgänger prägte. Kein Zweifel am Denken selbst, am System, an den Grundlagen der Herrschaft oder der Gedanke, dass alles, was als ‘Demokratie’ auftritt, eigentlich etwas anderes meinen könnte. Stattdessen Appelle an eine Vernünftigkeit, die angesichts früherer Theorien und späterer Praxis bestenfalls Rührung hervorrufen. Die Sonne steht tief im Denkerland.