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Ich war schon als sehr junger Kerl recht aufmerksam und gegen den Strich gebürstet. In meiner Siedlung lebten einige nicht ganz irrelevante Leute, daher war es ganz selbstverständlich, dass die Stasi allgegenwärtig war. Sehr lustig zu beobachten, wie sich einige bemühten, unauffällig zu wirken, während andere das genaue Gegenteil taten. Am besten gefiel mir aber, dass die Geschichte offenbar so eine Art Kreiswichsen war. Jeder beobachtete jeden.

Ich galt als aufmüpfig, daher taten die meisten so, als ignorierten sie mich. Ein paar waren auch von der appellierenden Sorte. Sie sprachen gern von Sozialismus, meiner Zukunft und beides in Kombination. Ich war nicht sonderlich interessiert. Das musste sich eines Tages ändern, dals ich ganz offen gefragt wurde, ob ich kooperieren wolle. Ich bat mir Bedenkzeit aus.

Das verwirrte den Offizier, der noch ein paarmal nachhakte; ich gab ihm aber zu verstehen, dass ich weder wüsste, was ein guter Sozialist sei noch viel Pflichtgefühl verstünde. Ich müsse einfach nachdenken, und wir verabredeten uns für einen Folgetermin. Als wir uns wiedersahen, fragte ich, ob ich Mitarbeiter werden könne. Nicht irgendein Spitzel, der doofe Fragen beantwortet, sondern eben hauptamtlich. Ich hatte ohnehin wenig Lust zu arbeiten, und die Idee schien mir einige Probleme gleichzeitig zu lösen.

Karriere

Beim ersten Gespräch mit seinem Vorgesetzten wusste ich schon wesentlich mehr über Sozialismus, Pflicht und all diesen Kram. Schließlich besuchte ich eine Schule und hatte das oft genug gehört. Nicht gar so schwierig. Außerdem hatte ich technisch einiges drauf. Kurzum: Sie konnten mich trotz gewisser Bedenken gebrauchen. Also habe ich ein paar Jahre gefrickelt und gemacht und mir den großen Apparat von innen angeguckt, bis Helmut kam und die Meisten von uns entlassen wurden.

Ich habe trotzdem Freunde, und die haben mich natürlich gefragt, wieso und warum. Ich sei doch gar nicht so, blabla. Dabei ist meine Karriere eigentlich selbsterklärend. Wie gesagt, bin ich mit den Kollegen, Zuträgern und Beobachtern groß geworden, Was machst du dann also? Schlägst ihnen die Tür vor der Nase zu, legst dich mit ihnen an, verbaust dir alle Optionen und wirst trotzdem bespitzelt? Wo ist der Sinn?

Oder du machst dich zum Spaten, lässt dich abhorchen, wirst dann erst recht bespitzelt und hast nichts davon? Uncool. Alternative: Du guckst dir das von innen an, lernst die Leute kennen, die dich bespitzeln und die Leute, die du bespitzelst, weißt, wen sie bespitzeln und man respektiert sich gegenseitig. Ab und zu ein Zückerchen, nichts zu Intimes, und wenn jemand ein Problem hat, kannst du dir überlegen, ob du es ausnutzt oder hilfst.

Abschaum

Meistens hat man sich geholfen, denn wir waren ja nicht blöd. Das macht die Arbeit leichter, und es ist immer besser, jemand schuldet dir was als umgekehrt. Kurzum: Ein schräges Theater, in dem die Rollen klar verteilt sind. Ab und an, wenn ein Fetter wen auf dem Kieker hatte und der das Spiel nicht verstand, flogen Späne. Da hielt man sich raus, so gut man konnte. Meistens kannte jemand wen, der wen kannte und konnte noch rechtzeitig warnen. Wenn wer die Warnung nicht ernst nahm … tja.

Dann kam wie gesagt Helmut, Birne, der Kanzler der Einheit und das, was der Westen so “Dienste” nennt. Ein paar von uns sind übernommen worden, darunter vor allem Wendehälse, aber auch ganz harte Jungs, die zum guten Schluss noch mal die Nazis abschnorcheln mussten. Habe ich nie verstanden, das Motiv. Wieder andere haben der Bundesregierung ein paar Sachen aus dem Archiv gezeigt, damit sie keinen Stress machen. Trotzdem sind viele wegen – man fasst es nicht – Landesverrats verurteilt worden. Das hat das Verfassungsgericht dann aber später zurückgenommen. Hatten wir auch nicht anders erwartet. Verbindungen eben.

Für die Westpresse sind wir seit Jahrzehnten der schlimmste Abschaum, während sie von ihren eigenen Leuten nichts wissen wollen. Ich bin ja nicht leicht zu ekeln, aber von denen würde ich keinem die Hand geben. Übrigens auch nicht den ganzen Schleimern, die gar nicht genug Dreck über Freunde und Kollegen auskippen konnten. Wo du die überall triffst, das glaubst du gar nicht. Ich habe immerhin etwas mitgenommen aus der Sache: Man macht sich einfach keinen unnötigen Stress, und was man weiß, das weiß man. Damit kommst du auch als Arsch der Woche zumindest jederzeit zu einem Job. Das ist ja alles, was bei euch zählt.