Ich zitierte es schon einmal: “Würde”, das ist laut Schiller “Ruhe im Leiden”. Sei nicht jämmerlich, stehe aufrecht, selbst wenn dir ein paar Extremitäten fehlen und dir das Blut aus dem Ohren spritzt. Das ist das deutsche, das abendländische, das bürgerliche Subjekt – das sich selbst unterwerfende Dingsbums Mensch.
Weniger würdig, aber absolut zeitgemäß, erwünscht und gepflegt, sind diverse Varianten davon: der Kampfhahn, der Pfau, der Alphagünther, aber auch der buckelnde Radfahrer. Konkurriere, unterwirf – dich und andere -, verwende alle deine Antriebe und Fähigkeiten darauf, deinen Platz zu finden, zu behaupten und zu wahren. In der kapitalistischen Gesellschaft ein Spiel, das nie endet und, während es “fairer Wettbewerb” sagt, den Kampf bis aufs Blut meint.
Auf die Knie
Diese ‘Kultur’ des Unterwerfens, der Beherrschung und vor allem Selbstbeherrschung ist älter als der Kapitalismus, kommt aber in diesem auf unschönste Weise zur Entfaltung. Dass sie in diesem Umfeld gar nicht danach fragt, ob es vielleicht auch anders ginge, liegt auf der Hand. Dabei könnte es durchaus schöner sein.
In einer Gesellschaft, die nicht den permanenten Kampf anpreist und das gegenseitige Niedermachen zum Ideal erhebt, wäre der Umgang mit sich selbst und der ganzen Geschichte ein anderer. Das hätte unter anderem Auswirkungen auf Begriffe, die man außerhalb ihres Zwangs auch schon heute völlig anders interpretieren könnte. Ich nehme mir mal den des “Sozialismus’” zum Beispiel:
Wie sinnig ist es, eine Partei in ein kapitalistisches Parlament zu entsenden und dort ‘Sozialismus’ anzustreben? Was soll das sein? Der drölfhundertste Versuch, eine Arbeiterschaft, die inzwischen gar nicht mehr existiert, zu Gewinnern an ihrer eigenen Ausbeutung zu machen? Wie wäre es stattdessen, Sozialismus als wissenschaftlichen Versuch zu wagen, die Gesellschaft zu kreieren, in der man leben möchte? Sozialismus als organisierter Versuch einer Gemeinschaft?
Untermenschen
Das ist praktisch in einer kapitalistischen Gesellschaft auch vergebens, aber dafür haben wir ja die Theorie. Das ‘Subjekt’ eines solchen Versuches wäre dann aber nicht mehr das Konkurrenzäffchen, sondern ein Mensch, der mit sich, seiner kulturellen wie biologischen Geschichte und seiner Umwelt in Einklang zu leben versuchte.
Auf der Ebene des Einzelnen bedeutet dies, sich seiner Antriebe, nicht zuletzt der quasi tierischen, gewahr zu werden und sie weder zu unterdrücken noch im Sinne der Herrschaft loszulassen, sondern sie zu befrieden. Eine Gesellschaft, in der Aggressionen gegen andere gelenkt werden und die so ‘sublimiert’, dass es immer Minderwertige für die allgemeine Psychohygiene braucht, bleibt barbarisch. Sie predigt “Recht” und “Disziplin” und meint Unterdrückung.
Juni 10th, 2019 at 15:55
Der Mensch erkennt sich nur im jeweils anderen. Wenn der aber, in immer noch zunehmenden Maße, Konkurrent, Gegner oder gar gleich Feind ist, wie steht es dann hinsichtlich Selbst-Bild, Selbst-Bewusstsein, und wie dann wiederum um sein Welt-Verhältnis? Der Mensch der ‘westlichen Moderne’ ist seelisch schwerst zerknüppelt, und nicht zuletzt das macht es so schwierig, in und aus dieser ‘Gesellschaft’ eine Gemeinschaft zu organisieren. Eigentlich bräuchten wir alle erstmal eine kompetente Trauma-Behandlung, die gegenseitigen Verletzungen aller Art sind konstitutiv, und die allfälligen Sonntagsreden sitzen noch wie ein Hohn obendrauf.
Und noch einmal der Hinweis auf die ‘Ungesellschaftliche Gesellschaftlichkeit‘ und natürlich den Sahlins. Denn das wurde uns leider nicht nur in die jeweils eigene Wiege gelegt, sondern schon in die unserer sogenannten Zivilisation. Es ist kein Zufall, dass der Kapitalismus in Europa entstand, obwohl die ‘technischen Voraussetzungen’ auch andernorts und zu anderen Zeiten gegeben waren.
Juni 10th, 2019 at 21:27
“Das ‘Subjekt’ eines solchen Versuches wäre dann aber nicht mehr das Konkurrenzäffchen, sondern ein Mensch, der mit sich, seiner kulturellen wie biologischen Geschichte und seiner Umwelt in Einklang zu leben versuchte.” Du sprichst mir aus der Seele!
Juni 11th, 2019 at 19:58
„Wie sinnig ist es, eine Partei in ein kapitalistisches Parlament zu entsenden und dort ‚Sozialismus‘ anzustreben?“ – Auf vielschichtige Art zweifelhaft.
Ursprüngliches Motiv für Sozialismus – als Zwischenstadium zwischen „Jetzt“ und „Kommunismus“ – ist das Leiden am Kapitalismus sowie der jüdisch-christliche Traum vom Garten Eden, in den wir zurück wollen. Also das „Ende der Geschichte“.
Felix Bartels hat mal gesagt, das ist ein Zustand, in dem wir allenfalls hinein quanteln können: einen stetigen Weg dorthin gäbe es nicht. Der folgende Dialog zwischen Lenin und Trotzki am Vorabend der Revolution ist wahrscheinlich urbane Legende:
Trotzki: „Was tun wir, wenn wir morgen scheitern?“ – Lenin darauf: „Was tun wir, wenn wir morgen Erfolg haben?“
Die menschliche Gesellschaft – gut oder bös egal – ist ein gewachsen Ding. Technisch gesagt, Resultat eines genetischen Entwicklungsprozesses. Die jahrhundertelangen Widersprüche haben sich auf ein gewisses Gleichgewicht eingepegelt.
Der Sozialismus – durchgesetzt durch die Revolution, und übrigens nicht vom Volk, sondern von einer Elite – ist von Anfang an kein „gewachsen Ding“, sondern etwas „geplantes“. Wie jeder Ingenieur bestätigt, reicht Kenntnis der Naturgesetze nicht zur Entwicklung einer Maschine: das verwendete Material ist voller Überraschungen. Mit der Gesellschaft ist es das gleiche.
Wenns um platzende Motoren geht – also nur um Geld – entscheidet die Kosten-Nutzen-Rechnung über Gut oder Böse. Wenn es um Millionen Verhungerte geht, gibts keinen mehr, der entscheidet, weil verhungert. Unsere Christliche Moral verbietet uns, diese Selbstregelung „weise“ zu nennen.
Zurück zum ursprünglichen Motiv, dem Leiden am Kapitalismus – dieser muss eingehegt werden, keine Frage (für Genaueres fehlt mir gerade der Nerv), aber verabschieden wir uns vom Marxismus-Leninismus: aus oben angedeuteten Motiven dürfen wir ihn als gescheitert ansehen, und zwar endgültig.
Juni 11th, 2019 at 21:04
Eine merkwürdige Sicht von ‘Gechichte’. Der Kapitalismus ist ‘gewachsen’ auch nur durch menschliche Entscheidungen, Hoffnungen und Handlungen. Adam Smith zB hat ja auch kaum etwas bereits Existierendes beschrieben als vielmehr auch nur eine Utopie formuliert, die, wie wir heute wissen, auch nicht so ganz die kühnen Hoffnungen erfüllt hat. Der Sozialismus nach Lesart M-L wiederum ist ‘gewachsen’ nicht zuletzt an eben dem von dir genannten Leiden und einer anderen Utopie, wurde praktisch geformt auch nur durch andere menschliche Entscheidungen, Hoffnungen und Handlungen. Ich sehe da keinen prinzipiellen Unterschied.
Ein Grund, warum diese Unterstellung eines prinzipiellen Unterschiedes zwischen einem rein ‘evolutionär’ entstandenen Kapitalismus – worauf übrigens gerade Mises, Hayek ff auch immer verweisen – und einem ‘künstlichen’, weil geplanten Sozialismus so gut funktioniert, liegt vielleicht in Marx’s Hoffnung, der Mensch könne seine ‘Vorgeschichte’ hinter sich lassen und dieses äußerst komplexe Gesamtgeschehen tatsächlich ‘in den Griff kriegen’. Das hat tatsächlich etwas ‘Messianisches’.
Davon abgesehen und bei Betrachtung der geschichtlichen Abläufe ist der ‘Plan’, einen Sozialismus zu errichten genauso ‘evolutionär’ entstanden wie die ‘Idee’, ein umfassendes Eigentumsrecht zu etablieren und andere für sich arbeiten zu lassen.
Juni 11th, 2019 at 21:41
@Peinhart – „Der Kapitalismus ist ‚gewachsen‘ auch nur durch menschliche Entscheidungen, Hoffnungen und Handlungen.“ – Kurz: durch seine Ökonomie. Wirtschaftlicher Erfolg.
Juni 11th, 2019 at 21:48
Erstens ist das auf einmal eine völlig andere Argumentation, und zweitens untergräbt dieser ‘Erfolg’ inzwischen gleich auf mehreren Ebenen seine eigenen Grundlagen. Erinnert mich irgendwie an einen gewissen schwarzen Ritter…
Juni 11th, 2019 at 22:16
@Peinhart – „anders“ in dem Sinn, dass die Dimension noch nicht angesprochen war. Sie ist aber allgegenwärtig: wenn die „menschliche Entscheidung“ in die Pleite ǵeführt hätte, hätte sie das Versuchsstadium nicht überlebt. Also doch „wirtschaftlicher Erfolg“.
Juni 11th, 2019 at 22:57
Der Irrtun liegt schon da, wo es vor dem Kapitalismus keine “Pleite” gab. Das Problem des Systems als solchem habt ihr dabei kaum gestreift. Da Peinharts #4 eine Replik war, bleibt seine Kritik die einer übersehenen Analogie. Dahinter steckt freilich noch viel mehr. Schließlich ist die Behauptung eines “Erfolgs” auch rhetorisch klebrig. Wenn ich diesen Begriff öffne, bleibt nicht viel davon übrig. Wenn man den auf Stabilität bezöge (alles andere war und ist für die Menschen nämlich eher weniger erfreulich), muss man dann noch sehen, dass der Ostblock immerhin 80 Jahre stabil war und China, das die Produktivitätswende ‘überlebt’ hat, erstaunlich anpassungsfähig ist.
Juni 11th, 2019 at 23:09
@flatter – „Schließlich ist die Behauptung eines ‚Erfolgs‘ auch rhetorisch klebrig.“ – Sie wäre es, wenn moralisch gemeint. Ist hier aber nicht so. Sondern „Erfolg“ im wirtschaftlichen Sinn als: hinterher hab ich mehr als vorher. (Die Ökonomen sind ein eigenes Völkchen.)
Juni 11th, 2019 at 23:16
@flatter – „Wenn man den auf Stabilität bezöge (alles andere war und ist für die Menschen nämlich eher weniger erfreulich), muss man dann noch sehen, dass der Ostblock immerhin 80 Jahre stabil war“ – der Ostblock war 80 Jahre lang ein unter Druck gehaltenes Explosivteil. In dem die DDR ein ökonomisches Leuchtfeuer war.
Juni 11th, 2019 at 23:16
Nun, wenn ich technisch mehrere Revolutionen erlebe, ist das nicht der Ökonomie zuzuschreiben, das wiederhole ich gern, weil der Kap. das ungerechtfertigt für sich beansprucht. “Mehr als vorher” hatten auch die DDR und China.
Was ‘Ökonomen’ sind, ist für mich irrelevant. Wenn das Argument schief ist, zählt der Hinweis auf den Clubausweis bei mir nicht.
Juni 11th, 2019 at 23:26
@flatter – „Was ‚Ökonomen‘ sind, ist für mich irrelevant.“ – Damit verabschiedest du dich aus dem Diskurs.
Juni 11th, 2019 at 23:30
Im Gegenteil. Von dem ‘Diskurs’, in dem Akte des Identifizierens dominieren, habe ich mich schon vor langer Zeit verabschiedet – weil er keiner ist.
Juni 11th, 2019 at 23:56
@flatter, ich meinte den hier im Thread.
Juni 12th, 2019 at 00:07
Ach so, du entscheidest also, wann ich noch im Diskurs bin. Ich lackiere mir dann mal die Nägel.
Juni 12th, 2019 at 06:30
Es ist außerhalb meiner Absicht, jemanden zurück zu setzen oder zu verletzen.
Juni 12th, 2019 at 07:11
@Wolf-Dieter Busch:
Auch im wirtschaftlichen Sinn ist der Erfolg für mich nicht erkennbar, denn erfolgreich waren nur wenige auf Kosten aller anderen. Technologisch betrachtet hat die Konkurrenz etwas gebracht. Aber das haben Kriege dann auch. Sind also auch Kriege erfolgreich? Na klar. Fragt sich immer nur: für wen…
Juni 12th, 2019 at 10:27
Gesellschaftliche Intervention vs. Szenesumpf.
Passt aber ganz gut zum Thema “Selbstbefried(ig)ung”.
https://lowerclassmag.com/2019/06/11/rote-nazis-zur-debatte-um-den-jugendwiderstand/
Juni 12th, 2019 at 10:55
@ThomasX – vielleicht war ich nicht deutlich genug: Erfolg nicht als Wert an sich, sondern Erfolg als Kriterium für Fortbestehen. Im Darwinschen Sinne: Erfolg wie „erfolgreich, sich fortzupflanzen … durchzusetzen … etc.“ Ich verwende den Begriff vollkommen nüchtern.
Juni 12th, 2019 at 13:16
Insofern ist der Sprung vom Hochhaus so lange erfolgreich bis man aufklatscht.
Juni 12th, 2019 at 14:39
@flatter
Ja, die Philosophie ist ein gefährliches Geschäft.
Juni 12th, 2019 at 15:08
Hochinteressanter Beitrag, der auch sehr gut zum hiesigen Titelbild passt. ;) Interessant ist aber weniger der naturwissenschaftliche Aspekt, um den es dann geht, als vielmehr der in den ersten Absätzen angesprochene (und in der verlinkten Studie noch vertiefte) kulturelle Aspekt. Ein weiterer – und jedenfalls für mich neuer – Hinweis auf gewisse ‘Eigenarten’ der europäisch-westlichen Sicht auf Mensch und Welt. Fügt sich als Puzzleteil gut in das bereits in #1 Gesagte.
Eigentlich müssten wir erst einmal neu denken lernen…
Juni 12th, 2019 at 15:46
@ Wolf-Dieter Busch #19:
Doch doch, du warst sogar sehr deutlich!
Die Sozial”darwninismus”-Schiene, ohne etwas von Darwin verstanden zu haben…
Kapitalismus selbst ist keine Lebensform und kann daher auch nicht biologisch beurteilt werden. Noch verkehrter ist es dann, daraus biologische Schlüsse für eine biologische Lebensform ziehen zu wollen.
Die Menschheit, als Spezies, hat vom Kapitalismus nichts. Außer dem Wettbewerbsnachteil, ihre Lebensgrundlagen UND damit ihr Leben zu zerstören.
Der Vorteil besteht eher für das Leben an sich, wenn sich dieser Fehler mit Fortschreiten immer schneller selbst revidiert.
Juni 12th, 2019 at 16:27
@ThomasX
„Kapitalismus selbst ist keine Lebensform“ – sondern eine Wirtschaftsform. Details siehe K. Marx, „Das Kapital“, Band 1. Ich tu es hier nicht mangels Platz, aber ich bin absolut imstande, den Kreislauf G→W→G’ zu erläutern samt Widerspruch, Konsequenzen und Zukunft. Glaub mir das.
„Die Menschheit, als Spezies, hat vom Kapitalismus nichts.“ Oh doch. Sie hat eine Wirtschaftsform, die mehr Ware produziert, als eigentlich benötigt; um diese mehr erzeugten Waren zu verkaufen (sonst ist nämlich Essig mit dem Mehrwert) muss der Gesamt-Wohlstand unterm Strich wachsen. (Kein Widerspruch zum obszönen Reichtum etwa einer Paris Hilton, die statt ernster Arbeit sich in Boutiquen verwirklicht, oder eines Gunther Sachs, der seine Freizeit mit Fotografieren ausfüllte.)
Ohne Kapitalismus wäre unsere Ökonomie heute Landwirtschaft. In Dürrejahren mit Hungerkatastrophen. Klingt komisch, ist aber so.
(Sorry, nichts gegen dich.)
Juni 12th, 2019 at 16:42
“Ohne Kapitalismus wäre unsere Ökonomie heute Landwirtschaft” ist so ein Unsinn, das zieht mir die Schuhe aus. Als Alternative zum Status Quo gibt es folglich immer nur eine finstere Vergangenheit, und on top kriegt man ein joviales TINA in den Hals geschoben. Furchtbares Diskussionsgebaren. Warum tue ich mir das an?
Juni 12th, 2019 at 17:11
@flatter – „so ein Unsinn“ – wie ausgeführt arbeitet der Arbeiter acht Stunden, die Produktion seiner Lebensmittel vergegenständlicht (im Beispiel) zwei Arbeitsstunden. Übrigens Standard der Materialismusschulungen in den Siebzigern. (Falls du welche mitgemacht hast, weiß ich natürlich nicht. Ich ja.) Im Umkehrschluss bleibt Verkaufsware im Wert von sechs Arbeitsstunden übrig, die an den Mann gebracht werden muss. Leuchet ein, oder?
Juni 12th, 2019 at 17:16
Und das ist der Beleg für “Ohne Kapitalismus wäre unsere Ökonomie heute Landwirtschaft”. Liest du eigentlich deine eigenen Kommentare? Schon mal was von “Zusammenhang” gehört? Komm’, kann ich auch:
Eine Näherin näht zehn T-Shirts in einer Stunde. In vier Stunden schafft sie 40. Leuchtet ein, oder? Das ist der Beweis, dass Gott existiert, denn der hat die Näherin erschaffen!!11elf! (Falls du auch im katholischen Dingsbumsinternat warst)
Juni 12th, 2019 at 17:17
@24/26:
Und warum argumentierst du dann biologisch?
“Erzeugt mehr als verbraucht werden kann, um zu verkaufen…..” und “verkauft werden muss” …
Und wenn das alle machen, dann erzeugt man mehr, als verkauft werden kann. Warenerzeugung als Selbstzweck. Und das ist also ein Vorteil/Erfolg, den du siehst?
*Schmunzel*
Juni 12th, 2019 at 17:41
#28 ThmasX – „Und warum argumentierst du dann biologisch?“ – Weil Biologie und Markt prinzipiell den gleichen Gesetzen gehorchen (survival of the fittest). Ah, um deiner nächst Frage zuvorzukommen: Darwinismus ≠ Sozialdarwinismus.
„Und wenn das alle machen, dann erzeugt man mehr, als verkauft werden kann“ – yup. Nennt sich Marktsättigung, versteht auch der bürgerliche Ökonom.
„Warenerzeugung als Selbstzweck.“ – Nicht Selbstzweck, sondern Mehrwert, bitte. (Das Kapital interessiert sich für das Geld. Nicht für den Nutzen.)
„Und das ist also ein Vorteil/Erfolg, den du siehst?“ – In der Warenvielfalt. Schau dich in deinem Wohnzimmer um. Vielleicht besitzest du eine Spielekonsole oder eine kleine, aber feine Fotoausrüstung? Tja. So Sachen. In meinem „Büro“ steht ein nicht ganz neuer Laptop, an dem ich ein Tool zur Neutralisierung des Gendersprech gebastelt habe. Brauchen wir das zum Leben? Mit der Frage lass ich dich jetzt allein.
Juni 12th, 2019 at 17:53
@flatter #27 – „Und das ist der Beleg für ‚Ohne Kapitalismus wäre unsere Ökonomie heute Landwirtschaft‘.“ – Ja. Marschier in der Zeit zurück, schau dir die Produktivität eines Melkers damals ohne und heute mit Melkanlage an. Kann man übrigens ausrechnen. Also wir beide nicht, aber ein Ökonom ja.
Juni 12th, 2019 at 18:08
Ich sag’s doch: Die Erde wäre stehen geblieben, aber jetzt ist der Mond ja gottseidanke aus Vanille und die Melkerin näht. Ohne Kapitalismus hätten wir nicht einmal die. Auch keinen Mond. Von Wurst wollen wir ganz schweigen. Der Mond ist nämlich vegan.
Juni 12th, 2019 at 18:29
Der Mond (aus Käse, wie jedermann weiß) soll also vegan sein. Und wieder was dazu gelernt.
Bye.
Juni 12th, 2019 at 18:33
@Wolf-Dieter Busch: Was möchtest du eigentlich sagen?
(Nicht schnippisch gemeint, ich versteh es nicht,ich finde es etwas holzschnittartig)
Z.B.:
“Wenns um platzende Motoren geht – also nur um Geld – entscheidet die Kosten-Nutzen-Rechnung über Gut oder Böse. Wenn es um Millionen Verhungerte geht, gibts keinen mehr, der entscheidet, weil verhungert. Unsere Christliche Moral verbietet uns, diese Selbstregelung „weise“ zu nennen.”
Ist es also demnach weise, die Menschen verhungern zu lassen oder sie nicht verhungern zu lassen mit alternativlosem Kapitalismus oder was?
Wenn du forderst, daß der Kapitalismus eingehegt werden muss, du aber nicht den Nerv hast darauf einzugehen, wie, dann umgehst du doch den allesentscheidenden Punkt, denn ich sehe nicht wie das systemimmanent möglich sein sollte.
Ich denke, daß der Kapitalismus durch seine inneren Widersprüche (endloses Wachstum z.B.) dem Untergang geweiht ist und wir sind alle herzlich dazu eingeladen.
Ich würde aber lieber absagen.
Klar hast du auch Recht in einigem der Begriff der Revolution ist ja sehr ambivalent, und wie eine neue alternative Ordnung erschaffen werden könnte ist völlig unklar. Wahrscheinlich hat Peinhart (@22) Recht
“Eigentlich müssten wir erst einmal neu denken lernen…”
Juni 12th, 2019 at 18:44
#30
Ein ökologisches Gleichgewicht gibt es im Umfeld des Melkers nur noch bedingt und derzeit ist davon nichts mehr übrig. Wenn mer schon naturwissenschaftlich bleiben wollen, dann hilft dir kein evolutionärer „Erfolg“, wenn sich kein neues Gleichgewicht einstellt, oder anders ausgedrückt: erst mit erreichen eines ökologischen Gleichgewichts kann überhaupt erst von Erfolg gesprochen werden. Das mit dem Gleichgewicht war im Kapitalismus aber nicht nur nie vorgesehen, sondern bestehende Gleichgewichte zu (zer)stören um daraus einseitig Gewinne zu akkumulieren ist das Wesen des Kapitalismus. Oder hab ich da was falsch verstanden? Auf alle Fälle bin ich zu anspruchsvoll, um den derzeitigen Gesellschaftsstand als Erfolg zu erleben.
Juni 12th, 2019 at 19:08
@Landratte #33 – „ich finde es etwas holzschnittartig“ – mein Stilmittel. Ja. Und Danke, dass du mich nicht als Troll auffasst (bin ich nämlich nicht).
Zu „platzenden Motoren“ und „Verhungerten“ diese Erläuterung: Lenins Revolution trägt alle Merkmale eines Experiments an der Gesellschaft – mithin eines Experiments am Menschen. Das unsere Ethik verbietet.
„Wenn du forderst, daß der Kapitalismus eingehegt werden muss, du aber nicht den Nerv hast darauf einzugehen, wie, dann umgehst du doch den alles entscheidenden Punkt, denn ich sehe nicht wie das systemimmanent möglich sein sollte.“ – Ausgezeichnete Frage! Ich sehe Forschungsbedarf. Einen praktikablen Lösungsansatz vermute ich hinter Wagenknechts und Lafontaines Vorschlag, dass die Konzerne – etwa BMW – zur Hälfte in (Aktien-)Eigentum der Belegschaft sein sollten. Mein Hintergedanke (habe ich immer!) ist nicht Rückfluss von Dividende, sondern Entscheidungsverhalten bei Firmenpolitik. – Vielleicht kommen dir auch ein paar Gedanken dazu.
„Ich denke, daß der Kapitalismus durch seine inneren Widersprüche (endloses Wachstum z.B.) dem Untergang geweiht ist und wir sind alle herzlich dazu eingeladen.“ – Righty-right. Da müssen wir raus. Siehe vorigen Absatz.
An alle, die am Thread hier verzweifeln: Aufgeben ist keine Option.
Juni 12th, 2019 at 19:16
Dann könnten wir ja zurück zum Thema …
Juni 12th, 2019 at 19:23
@29: das ist schade, aber deine Entscheidung. Ich hätte nämlich schon gern gewusst, wie sich Kapital “für etwas interessiert”. I.d.F. des Zirkelschlusses solle es ja der angebliche Mehrwert der Ware sein. Wer bemisst denn den Wert? Wer kapitalisiert also den Überschuss? In beiden Fällen ist die Antwort gleich: ideologisch verblendeten Menschen auf Kosten anderer Menschen, Lebewesen und des ganzen Planeten.
Juni 12th, 2019 at 20:11
@ThomasX #37 – „Wer bemisst denn den Wert?“ – Die Reproduktionskosten. Wir bewegen uns im Bereich Grundlagenwissen.
Ich wiederhole nochmal mein Beispiel. Arbeiter A verkauft seinen Acht-Stunden-Arbeitstag T an Firma F und Erhält den Arbeitslohn L, der erforderlich ist für die Lebensmittel, um den Acht-Stunden-Arbeitstag zu bestreiten: Essen, Familie, Kino.
Mit Arbeitslohn L bezahlt er die Lebensmittel. Soweit reell.
Diese Lebensmittel sind ihrerseits Waren, entstanden im Arbeitsprozess. Also vergegenständlichen sie ihrerseits Arbeitszeit, die sich ausrechnen lässt: sie beträgt (in meinem Beispiel) zwei Arbeitsstunden. Also hat Arbeiter A acht Stunden – reell bezahlt – gearbeitet, von denen zwei Arbeitsstunden – reell berechnet – in seine bezahlten Lebensmittel geflossen sind. Differenz sechs Stunden, die er fürs Kapital gearbeitet hat.
Diese sechs überzähligen Arbeitsstunden sind das Geheimnis hinter dem „Mehrwert“, aber sie sind noch mehr: Waren, die über den eigentlichen Bedarf hinaus produziert sind – aber verkauft werden müssen, sonst pleite!
Ist es ok, wenn ich an der Stelle innehalte und dir die Rest-Überlegung überlasse? Für Fragen stehen ich immer zur Verfügung!
Juni 12th, 2019 at 20:28
Ich finde es in der Tat lustig, dass so eine Wirtschafts”ordnung”, ein solch willkürliches und künstliches, von Menschen geschaffenes System hier mit Naturgesetzen gleichgesetzt wird. Und das von jemandem, der vorgibt, den Durchblick zu haben.
Zumindest erschließt sich mir immer mehr, welche Parallelen ideologische und religiöse Dogmen aufweisen.
Juni 12th, 2019 at 20:35
@39 ich habe versucht, es rüber zu bringen. Ich war nicht gut genug. Nicht dein Fehler, sondern meiner. Alles gute.
Juni 12th, 2019 at 20:53
Mein Hintergedanke ist nicht Rückfluss von Dividende, sondern Entscheidungsverhalten bei Firmenpolitik.
Auf dass sie sich dann selbst die Löhne drücken bzw sich gleich selbst entlassen…? Der einzige Gedanke, der mir dabei kommt, ist, dass es die Leutz dann endgültig innerlich zerreissen muss. Oder baust du ganz hintersinnig etwa darauf?
Und selbst wenn ich dir deine ‘Erfolgsgeschichte’ mal abkaufe – wobei ich den Preis dafür eindeutig zu hoch fände und die Gegenleistung in Form minderwertiger oder gleich vollkommen unsinniger oder kontraproduktiver Waren (Auto) eindeutig zu miserabel – wäre dennoch allerspätestens jetzt die Zeit gekommen, die Reissleine zu ziehen. Dieser Planet ist endlich, und sowohl ‘Quellen’ als auch ‘Senken’ eigentlich längst über Limit.
Davon abgesehen haben wir natürlich kein Paralleluniversum, in dem sich die zweifelhaften Utopien und Überlegungen eines Adam Smith oder Mandeville nicht durchgesetzt hätten, die naturwissenschaftlichen Ideen aber durchaus. Die sind nicht auf dem Mist des Kapitals gewachsen und hätten uns womöglich noch wesentlich feinere kleine Fotoausrüstungen beschert, mit wesentlich weniger Risiken und Nebenwirkungen. Reine Spekulation natürlich – wie deine aber auch.
Juni 12th, 2019 at 21:13
Nuja – jetzt könnte sich jeder einfach aus dieser Kette ausklinken und das wäre auch das Ende der Veranstaltung Kapitalismus.
Leider bestimmt auch hier Sein das Bewusstsein und solange eigene oder eingeredete Defizite durch Ellbogen kompensiert werden müssen, wird sich innerhalb des Systems nix ändern.
Deshalb ist es ja so sinnlos, als Partei mit den gegebenen politischen Mitteln diese Gesellschaft aus sich selbst heraus ändern zu wollen oder gar zu können.
Der Anteil derer ist überschaubar, die sich dank Denken und daraus reflektiertem Bewusstsein aus diesem Konkurrenzdenken herausnehmen.
Es wird ja auch fleissig suggeriert, dass nur Selbstoptimieren und Selbstausbeuten im Einklang mit Buckeln und Treten hier etwas bringt.
Das dabei am Ende trotzdem jeder “abhängig Beschäftigte” bei Ausfall des monatlichen Obolus für den Verkauf seiner Arbeitskraft ganz schnell nach unten durchgereicht wird unabhängig vom Können und Wollen, wird vielfach ausgeblendet.
Die andere Seite dessen ist das, was zum Ablenken von den gesellschaftlichen Defiziten u.a. als Trend nach rechts verbrämt und dennoch beklatscht wird, solange die dadurch Erniedrigten andere sind. Einer muss ja schuld sein am eigenen Elend und das sind im Zweifel doch immer die unter mir, aber niemals die Vertreter aus Wirtschaft und Politik.
Gleichzeitig wird alles, was auch nur ansatzweise am wirtschaftlichen System kratzen könnte wie die ohnehin nur erwähnten, aber nie eintreffenden Thesen eines Kevin Kühnert gleich mal als Sozialismus verballhornt. Nicht das womöglich noch jemand auf den Trichter käme, so etws über das gedankliche Moment hinaus zu heben – Satan weiche von mir oder hat er Jehova gesagt;-)
Mit GWG oder so hat dieser Aspekt des menschlichen eher Gegen- als Miteinander eher weniger zu tun.
Juni 12th, 2019 at 21:55
“An alle, die am Thread hier verzweifeln: Aufgeben ist keine Option.”
Ich habe eine andere gefunden: Weizenbier.
Juni 12th, 2019 at 21:59
cheers! schalker plörre tut’s auch, wir werden eh alle absteigen. såååååtååån!
Juni 12th, 2019 at 22:02
@flatter: Wie du Taubenschach-Großmeister wirst.
Abgesehen davon: Welche Avantgarde gestaltet denn dieses Mal die “neue Gesellschaft”? Muss es eine Einigkeit im Denken geben?
Ich glaube, das ist nix für mich.
Juni 12th, 2019 at 22:13
Wie erhellend. Ich muss auch mal Kommentare ausprobieren.
Denken wäre mir auch ohne Einigkeit ganz sympathisch, so wie in zuhören-denken-dann quatschen. Aber ich trinke sicher zu viel.
Juni 12th, 2019 at 22:30
Woher kommt jetzt diese Eingebung, die zu fast allem hier passt? Jemand in gehobener Position “zeigt Verständnis” für einen müden Versuch, ein klein wenig zu bremsen, wenn das Kapital massenhaft Leute aus ihren Wohnungen in die Privatinsolvenz scheucht. Ich meine: Man kann ja nicht einfach sagen, das wäre jetzt total falsch. Wer denkt denn ans Wachstum im Vaterland – und erst die Kinder?!!! Das muss wohl ein Spezialdemokrat sein. Ich dachte manchmal, die müssen ein Hirnimplantat haben, das aber auch unter allen noch so beschissenen Bedingungen solche Wortblasen produziert, aber ich habe recherchiert und herausgefunden: Das sind Rektalsonden. Aliens haben das gemacht..
Juni 13th, 2019 at 00:35
Sanctus!
Juni 13th, 2019 at 09:44
Warum geht man immer davon aus, der “real existierende Sozialismus” habe wegen einer schlechteren Wirtschaft versagt? Und im Ostblock ging es allen so schlecht!
Über das Warum macht sich keiner Gedanken. Meines Erachtens hätte der Gegenentwurf sogar bessere Chancen gehabt, wären beide unter gleichen Bedingungen gestartet. Nur war östlich der Elbe fast alles zerstört, während westlich davon ein Großteil der Industrie überlebt hat.
Sanktionen gibt es nicht erst seit den 1990ern, diese wurden auch schon gegen das “Ostfenster” DDR verhängt. Dann der Feind im inneren, der ca. 2000 Jahre alte feudale Club, welcher zwar mit Kapital und Faschisten konnte aber denn “Sozialismus” bekämpft hat.
Wenn man dies bedenkt, so hat sich dieses “Experiment” recht lange gehalten und es hat beim auflösen nicht zum Endkampf aufgerufen, sollte man auch nicht vergessen.
Deshalb nicht das Totschlagargument “Sozialismus funktioniert nicht!”, sondern Kopf aufmachen und Gedanken zulassen.
Und ja @Peinhart, wir müssen dieses Denken erst wieder lernen!
PS. Es gibt kein Patentrezept für irgendein System, alle entwickeln sich.
Juni 13th, 2019 at 16:12
Gibt es eigentlich gute Bücher in Richtung: “Exegese des Wirtschaftsglaubens” oder “Religiosität der Betriebswirtschaftsleere”?
Juni 13th, 2019 at 20:52
Nur war östlich der Elbe fast alles zerstört, während westlich davon ein Großteil der Industrie überlebt hat.
Nicht nur das, sondern West-Europa, gerade auch D mit der Zusatzfunktion ‘Schaufenster des Westens’ wurden von den USA gezielt als Märkte wiederaufgebaut, Reparationen wurden verschleppt, Schulden erlassen etc. Durchaus merkwürdig übrigens, dass die ‘Neue Seidenstrasse’ in den Medien so gut wie nie mit dem Marshall Fund verglichen wird… aber das würde ja auch wieder die ‘Wirtschaftswunderlegende’ in Frage stellen.