Der Niedergang bürgerlicher Politik
Posted by flatter under journalismus , politik[31] Comments
16. Apr 2019 16:22
Regierungen werden (vom heimischen Journalismus) nicht mehr herausgefordert.
Ich erwähnte neulich am Rande die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit politischer Entscheidungen. Dass Politik – genauer: bürgerliche Politik, denn denn diese Einschränkung ist damit gemeint – so wenig Einfluss hat, liegt vor allen an den Rahmenbedingungen. Die Spielräume, die der Kapitalismus ihr lässt, sind nicht groß.
Umso heftiger ist ihr Versagen zu kritisieren, wo sie noch das bisschen leisten könnte, das man von ihr erwarten darf. Was sie sich an ‘liberalen’ Werten auf die Fahnen geschrieben hat – Meinungsvielfalt, Pluralismus, Freiheit und vor allem das sie definierende Element der Debatte – wird nur noch behauptet und findet nicht mehr statt. Weder im Parlament noch in den Medien.
Kein Gegner
Es ist dies das Ergebnis der Dekadenz, die sich gleichzeitig im politischen Betrieb und im begleitenden journalistischen Orchester ausgebreitet hat. Sie lässt sich auf die Formel bringen: “Wer aus dem Konsens ausschert, beleidigt die Majestät”.
Folgerichtig reagiert die Funktionselite, die das Geschäft besorgt, so unsouverän wie ihre Haltung erwarten lässt, nämlich beleidigt und daher im gefühlten Recht, den Gegner seinerseits nach Herzenslust abzuwerten und vor allem auszugrenzen. Die neuen Medien begleiten diesen Prozess ihrerseits via Twitter und Co., indem eifrig Kinderkacke in den Ventilator geschaufelt wird.
Nach meiner Erfahrung vollzieht sich dieser Prozess mit wachsender Geschwindigkeit seit dem Ende des Kalten Krieges, seitdem also keine Gegenmacht mehr dazu nötigt, sich zu stellen, zu argumentieren und wenigstens besser zu sein als das, was man ablehnt. Mit dem Ruf “Geh’ doch nach drüben!” war ja immerhin eine Handlungsoption verbunden.
So nicht!
Die bürgerlich-neoliberal-kapitalistischen Filterblasen haben eine undurchdringliche Haut aus aktiver und passiver Beleidigung. Die ehemals kritische Linke, die sich einmal durch Bildung und Sachargumente auszeichnete, hat es sogar geschafft, mithilfe sprachlicher Minenfelder dafür zu sorgen, dass weder Freund noch Feind lebendig den Zugang zum Diskurs erreicht. Es herrscht die hohe Kunst, die Waffen des Gegners gegen sich selbst zu richten.
Dabei wäre es die vornehme Aufgabe bürgerlicher Politik und Publizistik, den jeweils stärksten Gegner zu finden und zu attackieren, um sich mit ihm zu messen – nicht um als schon vorab feststehender Sieger vom Feld zu gehen, sondern im Bemühen um das beste Argument über sich und die Welt etwas zu lernen. Davon hielte sie ausnahmsweise kein Finanzierungsvorbehalt ab. Nein, das ist schiere Ignoranz.
April 16th, 2019 at 17:11
Der erste Maulkorberlass ist doch die Drehtür Business-Politik.
Wer nach dem kargen Zubrot als öffentlich Bediensteter in der Wirtschaft verdienen möchte kann sich keine eigene Meinung leisten.
Damit sind die Konservativen raus und was sich die Linke gerade selbst antut ist ohne Worte und gibt keinen Anlass zu Hoffnung auf Besserung im Diskurs.
April 16th, 2019 at 19:56
Liegt wohl auch daran, dass bei “Politik und Publizistik” alle Mitglieder im gleichen Verein sitzen. Obwohl es beim Hühnerzüchterverein Kleinklickersdorf bestimmt für etliche Kontroversen reicht.
Wie kann man das nennen, die politische/publizistische Dramödie? Das übliche Blah interessiert mich nur insofern, die verdeckte Propaganda zu entdecken. Bei CK letztens fiel mir dann aber auch nichts mehr ein.
April 16th, 2019 at 20:13
Die Spielräume, die der Kapitalismus ihr lässt, sind nicht groß.
Das könnte wohl auch dazu führen bzw schon längst geführt haben, dass sowohl die etwas Intelligenteren als auch die, die wirklich ‘etwas bewegen’ wollen, diese Räume schon gar nicht mehr betreten. Gilt für Politik und Publizistik gleichermaßen. Übrig bleiben dann eben die Speichellecker und skrupellosen Karrieristen.
Über die Spielräume in der Publizistik fand Edith gerade noch diese kurze Abhandlung.
April 16th, 2019 at 20:54
Und die tagesmärchen illustrieren das gleich nochmal ganz praktisch:
Lange hatte Venezuelas Präsident Maduro sich geweigert, Hilfe anzunehmen, dann erklärte er sich doch bereit: Die erste Lieferung des Roten Kreuzes ist nun in Caracas eingetroffen. [...]
Die Ladung kommt aus Panama und ist Teil einer Aufstockung der humanitären Hilfe für Venezuela um fast das Dreifache auf knapp 25 Millionen Dollar (etwa 22 Millionen Euro). Dies hatte das IKRK zuvor beschlossen.
Und machen sich nicht einmal mehr die Mühe, diesen offensichtlichen Widerspruch irgendwie zu erklären oder aufzulösen. Wie schon bei der vorigen Meldung in dieser Sache ist auch von vornherein keine Kommentierung vorgesehen.
April 16th, 2019 at 21:30
Ein Zeichen. Die Linke im eu-Parlament vergab heute Abend Preise:
Truth Matters! So don’t miss our annual Award for Journalists, Whistleblowers and Defenders of the Right to Information, this Tuesday, 16 April at 18.00 CET. Live on Facebook.
The nominees for this year’s award are:
⏺ Julian Assange, founder of WikiLeaks recently arrested in the UK
⏺ Katya Mateva, whistleblower on Bulgarian Ministry of Justice’s Golden Visa scam
⏺ Yasmine Motarjemi, former Vice President and whistleblower on Nestlé’s food safety lapses
⏺ Rui Pinto, Football Leaks whistleblower awaiting trial in Portugal
⏺ Luis Gonzalo Segura, author and whistleblower on corruption and wrongdoing in the Spanish army
⏺ Howard Wilkinson, Danske Bank whistleblower
Es lohnt sich, da mal reinzuhören: facebook
April 17th, 2019 at 09:09
@4: Zumal die UNO längst liefert und das mit der Regierung Maduro natürlich auch abgesprochen ist.
April 17th, 2019 at 10:52
Am Rande: noch eine Einzelfallpanne, braune Connection beim LKA.
April 18th, 2019 at 14:08
Wem ist denn an einer “Herausforderung der Regierung durch die Journalisten” gelegen? Doch nur denen, die wollen, dass die Regierung für uns das Handeln und die Journalisten für uns Denken und Kritisieren übernehmen.
Es ist doch längst so, dass Wir/die Leute selber die Regierung herausfordern (können). Die “Zeitungsherausforderung” gehört in die Zuschauerdemokratie vergangener Zeiten.
April 18th, 2019 at 15:32
Da wir noch in einer Zuschauerdemokratie leben, bedeutet das aber, dass der Diskurs extrem eingeschränkt wird und öffentlich nur mehr offizielle Verkündungen im Modus der Zustimmung besprochen werden. Wie “die Leute selber die Regierung herausfordern” sollen, ist mir nicht recht klar. Da der eingeschränkte Diskurs noch mit einem Verlust an Niveau einhergeht, fällt die Gegenrede in den ‘sozialen Medien’ entsprechend in einer Weise aus, die man umso leichter zurückweisen kann (“Verschwörungstheorien”). Niemand fühlt sich herausgefordert.
April 18th, 2019 at 16:22
Die Gelbwesten fordern ihre Regierung ebenso heraus wie die Freitagsstreikenwirschulkinder. Die Montagsdemos waren eine Herausforderung, die Aufstehenpartei sollte eine Herausforderung werden. Alle diese Herausforderungen lassen sich nicht mehr in die morgendliche Zeitungsübersicht für Entscheidungsträger einfangen.
Für Journalismus bleiben dann nur die Katastrophenmeldungen. Da sind sie dann schneller und “näher dran”.
April 18th, 2019 at 17:26
Auch die Berliner Mieterinitiativen sind eine Herausforderung für Regierung und Journalismus.
April 18th, 2019 at 17:29
Du sagst es: Hie Mieterinitiativen, dort Regierung und Journalismus. Irgendwie nicht recht ausbalanciert.
April 18th, 2019 at 17:48
Ich erinnere noch ein Interview mit Augstein himself, dem Inbegriff journalistischer Herausforderung in Deitschland, als er Anfang der 1970er nach seiner Rolle gefragt sagte, er mache “49% Opposition”. Daraufhin hatte ich den Spiegel abbestellt und nie wieder eine Mark dafür ausgegeben. Wo sind wir heute? Bei 20%? 15% Opposition? Die abnehmende Stärke der journalistischen Opposition korrespondiert mit der abnehmenden Stärke der Staatsparteien.
Und nicht zu vergessen: Die Pressefreiheit ist die Freiheit der Zeitungsmagnaten, ihre Ansichten unter die Leute zu bringen.
April 18th, 2019 at 21:13
Diese ‘Opposition’ war ja ohnehin immer nur eine systemimmanente, genauso wie ‘links’ auch nur eine Verortung innerhalb des Systems bezeichnet. Nur einige, eher wenige, die sich solchermaßen als ‘links’ bezeichnen streben darüber hinaus auch einen Systemwechsel an. Der überwiegende Teil der ‘linken Opposition’ hingegen hat vor allem systemstabilisierende Wirkung.
April 19th, 2019 at 07:59
“Im 30. Jahr der deutschen Einheit fordert die Linkspartei, ein U-Ausschuss solle die Treuhand-Privatisierung früherer DDR-Betriebe prüfen. Experten halten das für den falschen Weg der Aufarbeitung.”
Ich habe, als ich den Teaser las, lange mit mir gerungen ob ich den Artikel lesen sollte oder nicht. Wie zu erwarten war wurde ich auch nicht entäuscht.
Ein “Ostbeauftragter” der CDU der die “Intention” nach der Forderung eines UA nicht verstehen will. Dann aber noch mal schnell die Roten Socken rausholt. Wiederum, man ist ja Demokrat, “selbstkritisch” sich gebend eingesteht “das auch Fehler passieren könnten“.
Kurz um, wo gehobelt werden fallen halt eben Späne.
Einer der erwähnten Ächzperten, sieht völlig überwältigt ein „Narrativ“, natürlich nur in der Wahrnehmung der doofen Ossis und meint das die Bundesregierung damals gar nicht schuldig bzw. „böse“ war. Nein das war die WW.
Wie gesagt, alles im Lot auf der MS Deutschland.
April 19th, 2019 at 11:03
@15
Wer oder was ist die WW?
April 19th, 2019 at 11:23
Was soll man machen, wenn einer der wenigen “ernst zu nehmenden” Politiker Martin Sonneborn ist.
https://deutsch.rt.com/kurzclips/87267-eu-abgeordneter-wenn-ihr-assange/
Inwiefern er systemimmanent oder -erhaltend ist, weiß ich nicht. In den gleichgeschalteten Medien findet diese Aktion aber gar nicht statt.
April 19th, 2019 at 11:38
In Spanien, wo sich die Faschisten nie schämen mussten, zeigt sich, wohin die Kumpanei zwischen Politfunktionären, der Exekutive und den Medien führt.
April 19th, 2019 at 11:50
OT – Hier gibt es gerade ein paar recht interessante Beiträge zum Thema Strafen und Gefängnis. Und es wäre schon mal geklärt, wofür www steht… ;)
April 19th, 2019 at 15:24
@ 16: Weltwirtschaft TM
April 20th, 2019 at 09:08
Die bürgerliche Politik nimmt ihren Niedergang nicht einfach hin, sie beschleunigt ihn noch nach Kräften: Hier findet keine Dekonstruktion der Geschlechter-Frage statt, sondern ihre Restauration. sowie: Die Geschlechterfrage verdrängt die soziale Frage. Und man könnte auf die Idee kommen, das sei bezweckt.
Ich will eine Quote für ausgebrannte alte Männer mit krankem Hund. Und dann wegbleiben.
April 20th, 2019 at 10:32
Augstein und Blome diskutieren über die ‘Rückkehr der sozialen Frage’: In Deutschland sind Rente, Jobs, Realeinkommen seit Jahren auf Rekordkurs, alles wächst, fast ein zweites Wirtschaftswunder.
Der Satz bleibt unwidersprochen.
April 20th, 2019 at 11:52
Zizek und Peterson haben sich auch mal getroffen. “Unentschieden”, sagte der Schwarze Ritter.
April 20th, 2019 at 14:06
OT:
451: Unavailable due to legal reasons
We recognize you are attempting to access this website from a country belonging to the European Economic Area (EEA) including the EU which enforces the General Data Protection Regulation (GDPR) and therefore access cannot be granted at this time. For any issues, contact bhartsell@ilnews.org or call (847) 497-5230.
https://www.watchdog.org/265844/google-obama-revolving-door/
Die Welt ist schön. Die wollen sich von den Leuten aus Europa nicht so leicht in die Karte gucken lassen.
Bei dem Zerohedge Artikel
“Distressed Nation: Each American Would Owe $700,000 To Eliminate Worsening Debt Situation”
war etwas von der Washington Post verlinkt:
“This content is currently not available in your region.”
…
@ 21+22
Ich will eine Quote für alte kranke Hunde.
Außerdem ein Verbot von Binnen-I und ähnlichem Scheiß.
Ich gehe davon aus, dass Zeugs, das vom Wesentlichen ablenkt, nicht zufällig auftaucht.
Leute, welche auf ihrem Konto derzeit ein Wirtschaftswunder haben, sollten zur sozialen Frage besser die Fresse halten, sonst stelle ich die Umverteilungsfrage.
April 20th, 2019 at 15:35
@renée: ich geh eigentlich davon aus, daß du weisst, wie du dat geoblocking von us-medien umgehst? falls nicht, hier zb ne lahmarschige, aber unkomplizierte webbasierte lösung für zwischendurch ohne aufwand betreiben zu müssen:
https://hide.me/en/proxy
April 20th, 2019 at 17:01
@25
Danke, leider hatte ich mich aus diversesten Gründen die letzten Jahre nicht mehr so richtig darum gekümmert, meine Kenntnisse der Entwicklung anzupassen. Ich hatte vor einigen Jahren auch mal einen Versuch mit Proxy versucht, danach hatte ich ziemliche Probleme mit meinem Computer, weiß jetzt nicht mehr welche.
Auch wenn es viele gibt, die das zu umgehen wissen, finde ich so eine “Wall” Scheiße. Was wollen die damit?
April 20th, 2019 at 17:18
Oops!
Something is wrong
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451 Unavailable For Legal Reasons (?)
Ok, so wichtig ist es mir jetzt nicht, ausgerechnet diese Seite lesen zu können.
Ich frage mich halt, warum das Land of the free geo-blocking gegen Europäer betreibt.
April 20th, 2019 at 21:27
@renée: Ich gehe davon aus, dass Zeugs, das vom Wesentlichen ablenkt, nicht zufällig auftaucht.
Seit wann schicken wir eigentlich Aussenminister, um abgestürzte Busse zu begutachten? Die tagesmärchen haben quasi einen Live-Ticker eingerichtet, um über den ‘Rettungsflug’ zu berichten – nu hat es abgehoben, nu isses gelandet, dann wieder abgehoben und jetzt tatsächlich wieder in D gelandet. Jeweils ganz oben auf der Website. Welche Schweinereien finden eigentlich gerade sonst so statt…?
April 20th, 2019 at 23:59
Solange sie es noch nicht wie in Frankreich treiben, mal eben Notre Dame abflämmen um von den zunehmend brutaleren Polizeieinsätzen abzulenken ;)
Bei der Extinction Rebellion in London wurden ca. 700 Jugendliche vorübergehend festgenommen, bisher blieb es ansonsten friedlich, mal sehen wie lange noch.
Am Montag gehen wir zum Ostermarsch, ich war da bisher noch nie, mal sehen wie die Stimmung und Beteiligung ist.
Gib deinem Wauwi einen Extraknuddel von mir :)
April 22nd, 2019 at 16:28
@renée@27:
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451 Unavailable For Legal Reasons (?)
coockies löschen, cache löschen. ev. scripte blocken und nur hide.me freigeben. webadresse ins feld kopieren und im drunterliegenden drop-down als server “usa” wählen. sollte laufen (bei mir gehts jedenfalls).
Ich frage mich halt, warum das Land of the free geo-blocking gegen Europäer betreibt.
ähm, no offense renée, aber DSVGO anyone? haste wirklich nicht mitbekommen?
April 23rd, 2019 at 01:14
Nein, ich hatte mir seit 2016 eine Pause “gegönnt”, teilweise wegen längerer Zeit kein www-Zugang, teilweise wg. zuviel sonst was um die Ohren.
Aber danke, werd’s mir reinziehen.