Regierungen werden (vom heimischen Journalismus) nicht mehr herausgefordert.

John Pilger

Ich erwähnte neulich am Rande die Möglichkeit bzw. Unmöglichkeit politischer Entscheidungen. Dass Politik – genauer: bürgerliche Politik, denn denn diese Einschränkung ist damit gemeint – so wenig Einfluss hat, liegt vor allen an den Rahmenbedingungen. Die Spielräume, die der Kapitalismus ihr lässt, sind nicht groß.

Umso heftiger ist ihr Versagen zu kritisieren, wo sie noch das bisschen leisten könnte, das man von ihr erwarten darf. Was sie sich an ‘liberalen’ Werten auf die Fahnen geschrieben hat – Meinungsvielfalt, Pluralismus, Freiheit und vor allem das sie definierende Element der Debatte – wird nur noch behauptet und findet nicht mehr statt. Weder im Parlament noch in den Medien.

Kein Gegner

Es ist dies das Ergebnis der Dekadenz, die sich gleichzeitig im politischen Betrieb und im begleitenden journalistischen Orchester ausgebreitet hat. Sie lässt sich auf die Formel bringen: “Wer aus dem Konsens ausschert, beleidigt die Majestät”.

Folgerichtig reagiert die Funktionselite, die das Geschäft besorgt, so unsouverän wie ihre Haltung erwarten lässt, nämlich beleidigt und daher im gefühlten Recht, den Gegner seinerseits nach Herzenslust abzuwerten und vor allem auszugrenzen. Die neuen Medien begleiten diesen Prozess ihrerseits via Twitter und Co., indem eifrig Kinderkacke in den Ventilator geschaufelt wird.

Nach meiner Erfahrung vollzieht sich dieser Prozess mit wachsender Geschwindigkeit seit dem Ende des Kalten Krieges, seitdem also keine Gegenmacht mehr dazu nötigt, sich zu stellen, zu argumentieren und wenigstens besser zu sein als das, was man ablehnt. Mit dem Ruf “Geh’ doch nach drüben!” war ja immerhin eine Handlungsoption verbunden.

So nicht!

Die bürgerlich-neoliberal-kapitalistischen Filterblasen haben eine undurchdringliche Haut aus aktiver und passiver Beleidigung. Die ehemals kritische Linke, die sich einmal durch Bildung und Sachargumente auszeichnete, hat es sogar geschafft, mithilfe sprachlicher Minenfelder dafür zu sorgen, dass weder Freund noch Feind lebendig den Zugang zum Diskurs erreicht. Es herrscht die hohe Kunst, die Waffen des Gegners gegen sich selbst zu richten.

Dabei wäre es die vornehme Aufgabe bürgerlicher Politik und Publizistik, den jeweils stärksten Gegner zu finden und zu attackieren, um sich mit ihm zu messen – nicht um als schon vorab feststehender Sieger vom Feld zu gehen, sondern im Bemühen um das beste Argument über sich und die Welt etwas zu lernen. Davon hielte sie ausnahmsweise kein Finanzierungsvorbehalt ab. Nein, das ist schiere Ignoranz.