Ist das nicht eine wunderbar grauenhafte Überschrift? So etwas muss man sich leisten können. Ich war eben in Früher® unterwegs, meinem Blogarchiv, bei dessen Lektüre mich so oft das Gefühl überkommt, unter all dem, was früher besser war, wäre auch meine Schreibe zu verorten. Ist aber gar nicht so. Kommentare zum politischen Tagesgeschäft und deren journalistische Begleitung sind oft einfach nur öde. Dennoch will ich heute wieder einmal einen Artikel würdigen.
Das ehemalige Magazin “Spiegel” stellt nämlich eine Frage, die richtige sogar an der richtigen Stelle. Sodann wird die ganze Chose in das Schwarze Loch der eigenen Geschwätzigkeit gezogen, das ich eben “Relotius-Singularität” nennen will. Was dabei herauskommt, ist ein Haufen Irrelevanz, der sich wie ein Verblödungs-Tsunami über den Leser ergießt.
Nicht wichtig
Es geht um die Pflege in Deutschland. Milena Hassenkamp fragt: “Oder sollte man nicht lieber die Arbeitsumstände so verbessern, dass auch Menschen in Deutschland den Job machen wollen? Mit einem besseren Gehalt? Oder geringerer Belastung?” und kommt zu dem Schluss: “Für Pflegekraft Anastasija stellen sich diese Fragen nicht.” Damit ist das Thema also erledigt. Puh!
Was erfahren wir zum Komplex, wie ist die Sachlage, was die Argumente? Für die preiswürdige Topjournalistin folgende: Sie ‘berichtet’, wie das Wetter ist, wie Anastasija aussieht, wie sie sich schminkt, woher sie kommt, welche persönlichen Beziehungen sie pflegt, ihre Essgewohnheiten, bla bla BLA. Und eben, dass sie sich nicht fragt.
Vergessen Sie es!
Dafür antwortet eine angebliche Pflegedienstleiterin: “Wenn ich die Stellen nicht besetzen kann, werden die Arbeitsbedingungen schlechter …“. Die Arbeitsbedingungen werden also schlechter, wenn man nicht Lohndrücker einstellt, was dazu führt, dass die Arbeitsbedingungen schlechter werden. Da kann man nichts machen. Aber Anastasija interessiert das eh nicht, und die ist ja das Thema hier.
Angesichts solch erbärmlicher Propaganda wundere ich mich nicht, wenn Geistesgrößen mit vergleichbarer Kapazität den Schluss ziehen, man müsse sich gegen Ausländer wehren, die vom Merkel-Regime hergelockt werden, um den Volkskörper zu schwächen. Und überhaupt: Wer nicht für Anastasija ist, ist gegen Anastasija. Wie komme ich jetzt darauf? Worum geht es gerade? Moment, nur ein Werbespot, dann geht es weiter!
März 4th, 2019 at 18:58
Alle lachen, der Pflegedienstleiter, der Pflegedienstleiterleiter und Anastasija auch.
Lustikk ist das Aufstockerleben, fahria, fahria, hoh…
März 5th, 2019 at 09:46
Eine kurze Durchsage von Huawei zum Thema:
Die Dual-Front-Kamera mit 24 Megapixel nach vorne und nur 20 Megapixel nach hinten, dazu ist die HDR-Pro-Funktion ist nur bei den Frontkameras verfügbar.
Beworben als „Intelligenter Selfie-Meister”.
Wer sich mal die Mühe macht und die Aufrufe verschiedener gut gemachter Dokus von ARTE oder 3Sat oder meinetwegen den gehypten Kenfm oder den Nachdenkseiten vergleicht mit “Bibis Beauty Place”, der kann dem Speichel nur Recht geben.
Niemand will wissen, was Anastasija verdient, das ist Marktgesetz, das ist unabänderlich. Aber was tut sie, damit sie nachts um 3 aussieht, wie nach 24 Stunden Wellness, das ist wichtig, das könnte ich dann auch.
März 5th, 2019 at 10:02
Verdienst ?
Zweitletzter Satz:
“”können wir darauf nur hoffen.” Hoffen darauf, dass Anastasija nicht doch irgendwann mehr will.”
März 6th, 2019 at 18:01
” Anastasija aus Belgrad ist eine der ersten an einer Klinik in Schwaben. Eine Chance für beide Seiten.”
Übersetzung: die Ausländer können wir auspressen. Die sind froh, wenn ‘se Arbeit haben. Die werden auch nicht streiken oder mehr Geld verlangen. Eine Chance! Für beide Seiten!
“Die Bundesagentur rekrutiert damit Pflegekräfte auf dem Balkan, den Philippinen und in Tunesien.”
Sonst will den Scheißjob mit der Scheißbezahlung und den Scheißbedingungen auch keiner machen. Wir verbessern also nicht die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung, sondern suchen uns Leute, die die Fresse halten! Sorry, für meine Wortwahl, aber es ist schlichtweg zum Kotzen.
März 7th, 2019 at 06:33
Ich habe gestern mit einem jungen Mann gesprochen. Er sitzt mit 22 beim Jobcenter fest. Das Jobcenter will ihn via Eingliederungsvereinbarung in ein “Arbeitsverhältnis” als Altenpflegehelfer drängen. Teilzeit “halbe Stelle” für 800 € brutto pro Monat.
Als Azubi zum Altenpfleger bekäme er im ersten Lehrjahr 1000 € plus/inkl BaföG, zumindest zur “psychologischen” Absicherung. Die ruinieren beim Jobcenter junge Menschen nur damit die vom Schreibtisch sind.
März 7th, 2019 at 07:35
Noch was zu Relotius:
Claas Relotius räumte alle Journalistenpreise ab, weil er den Journalismusnerv unserer Zeit getroffen hatte. Der Journalismus bis in unsere Zeit vermeldete, was WIMs (wichtige Männer) sagten, dachten oder machten. Der Relotius-Journalismus ist ein Blogger-Journalismus. Relotius flocht ins WIG (wichtige Geschehen) ein, was ULs (unwichtige Leute) sagten, dachten oder machten. Das passt hervorragend in unsere populistische Epoche. Wir ULs haben es satt, nur von hohen Herren zu hören. Wir wollen endlich wissen, was unsere Nachbarn und die Leute auf der anderen Straßenseite denken und sagen!
Pech nur, dass Relotius außerhalb der Lebenswelt der ULs lebt und arbeitet. So musste er unser Denken, Sprechen und Tun (nach)erfinden.
Erfolgreich war Relotius mit seinen Bento-Lügen deshalb, weil die anderen Herren Journalisten ebenfalls außerhalb unserer Lebenswelt leben, und weil Relotius seine Lügengeschichten so erfand, dass sie in die Vorstellungswelt passten, die sich die feinen Journalistenherren von uns ULs so machen.