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Der politische Mensch und die Grenzen seines Denkens, das hat hier im Blog einen Namen, nämlich den des “Kreidestrichs”, vor dem jener auf und ab läuft und sich nicht traut, ihn zu überschreiten. Für die meisten selbstempfundenen ‘Linken’ findet er sich diesseits von Marx, diesseits eines Sozialismus’ ohne “Marktwirtschaft”, diesseits einer Welt, die sie eben nicht kennen. Letzteres eint sie mit allen anderen, die eben aus ihrer Stirn nicht herauskommen, sei es aus Angst oder Ignoranz, mangelndem Talent oder Bequemlichkeit. Vielleicht gibt es auch edle Motive zu dieser Haltung, die mir nur im Moment nicht einfallen.

Ich nehme mir einmal zwei Kollegen vor, wofern sie Autoren sind, die ich damit keineswegs verglichen haben will. Wozu auch? Es geht mir nur um die Illustration dessen, was viele davon abhält, Lösungen für Probleme zu finden, weil sie schon das Problem nicht fassen, dessen Hintergründe jenseits ihrer Welt liegen oder dessen Lösung sie nicht finden können, weil sie den Weg der Frage nicht zu ende gehen.

Fangen wir mit Jürgen Kaube an, der in der FAZ versucht, uns die Kanzlerin zu erklären. Mutig listet er auf, welche Koofmichs uns regieren und regiert haben, zeigt auf, dass Korruption in den höchstens Ämtern nicht Ausnahme ist, sondern Regel. Schon hierbei meidet er solche Hinweise, die auf die Ursachen deuten, fokussiert auf die Korrumpierten anstatt auf die Händler und die zugrunde liegenden Interessen. Gar nicht in den Sinn kommt ihm schließlich der Zusammenhang zwischen der Entwicklung dieser Korruption und den Interessen, aus denen heraus Funktionäre korrumpiert werden. Wieso eigentlich nicht?

Den Sinn im Neusprech suchen

Statdessen ein Schwenk in eine angebliche Rhetorik, die irgend erklären soll, warum Frau Merkel heute dies, morgen jenes und am nächsten Tag wieder dieses sagt, gleichzeitig aber nichts und am Ende nicht deutlich wird, was eigentlich ihre Ziele und Interessen sind. Die Idee kommt gar nicht auf, dass sie keine Motive erkennen lässt, weil es nicht ihre sind, die sie umsetzt. Da wird dann gar ein Neusprechstandard zum brisanten Inhalt verklärt, wo die hohle Hülle hallt:

Was die Finanzkrise, Andersons dritte Diagnose, angeht, so hat Angela Merkel den interessanten Satz gesagt, alles dafür tun zu wollen, dass in Frankreich Wachstum und Beschäftigung verwirklicht werden.”

So, das betrifft also eine “Finanzkrise”? Inwiefern? Mit welcher Intention? Und: Was ist dann die “Finanzkrise”? Schwamm drüber, Wachstum und Beschäftigung® ist eine neoliberale Plattitüde, daher ist das kein Satz und das Ganze so uninteressant wie ein Korn im Sand. Die Begründung “Schließlich sind Merkels Redensarten informativ, weil es sich um diejenigen Angela Merkels handelt” bringt schließlich die Qualität des Sermons auf den Punkt. Setzen, sechs!

Ein anderer Schreiber, ein anderer Kreidestrich: Roberto de Lapuente kommt nicht vorwärts, als bekennender “Sozi”, der daher konsequent die “Linke” wählt. Was er im verlinkten Artikel über Marx behauptet, halte ich schon für schlicht falsch, solche Behauptungen bedürften wenigstens des Hinweises, wann wo wie das gemeint sein könnte. Ich will aber auf etwas anderes hinaus.

Sozis und die Siebziger

Heute lese ich folgendes:

Da können die Politiker der Volksparteien sich noch so sehr nun den Mund fusselig quatschen, dass sie diesen europäischen Rechtsruck gut analysieren werden. Täten sie es, müssten sie das »große Versprechen« der Neoliberalen auf den Müllhaufen der Geschichte werfen, zurückfinden zu einem modus vivendi, in dem Privatisierungen und Kürzungen der Sozialetats eben nicht mehr alltägliche Routine sind.”

Da sind sie wieder, die guten 70er Jahre. Dorthin sollen wir also “zurückfinden”. Immer und immer wieder dieses Kindergebet, es möge wieder so werden wie früher. Als gebe es eine Instanz, einen Gott oder einen Willen, dem die Entwicklung folgt. Als sei es nicht absolut folgerichtig und der schlichten Systemlogik folgend, dass es eben nicht mehr so ist, dass es nicht mehr so wird und herrgottnochmal, dass das eine Phase war, die der Kapitalismus günstigstenfalls einmal durchlaufen kann, ehe sinkende Profitraten die alten Spielregeln wieder einsetzen.

Warum findet an dieser Stelle einfach keinerlei Analyse mehr statt? Warum keine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Systemzwängen, mit dem realen Einfluss von Einzelentscheidungen und demgemäß mit den wirklich möglichen Alternativen? Welch eine Verschwendung von Hirnschmalz und gutem Willen; da überkommt mich der Zorn!

Burks hat das Thema heute übrigens an einem anderen Ende gestreift, ich empfahl ihm Heinz-Josef Bontrup, der hier für Eilige (ab 12:00) sehr deutlich wird.