“Experten” – wo immer das dran steht, verbirgt sich Religion, Verkündung, Dogmatik, Unwucht und kognitive Steppenlandschaft. Heute habe ich mir mal zwei hierher gekarrt, die weder eingeladen waren noch kommen wollten, sondern ihren gesalbten Sachverstand ohne Widerstand nur genüsslich woanders verbreiten.
Der erste ist ein “Schlafmediziner” mit einer knallharten Meinung zur (künftig ausbleibenden) Zeitumstellung und die schlimmen Folgen einer dauerhaften Sommerzeit. Dafür gibt es schon satt Punkte hier – doof argumentiert und dann noch voll daneben, das zählt.
Zunächst wäre da die merkwürdige Verkettung, dass Schichtarbeit einen problematischen Schlafrhythmus nach sich zieht, dann ein hektischer Übergang zum “Jetlag”, an den man sich gewöhne und dann schließlich Warnung vor dem Grauen der ewigen Sommerzeit – einen Zusammenhang sucht man vergeblich, aber das ist auch nicht nötig:
Und Gott schuf den Wecker
“Aber bei einer generellen Umstellung hat das ganz andere Auswirkungen, weil wir monatelang an unserem Schlaf sparen.” Hä? Weil der “Licht-Dunkel”-Wechsel sich ändert? Das tut er so also nicht? Und “dann gehen die Kinder im Frühling und Herbst noch länger im Dunkeln zur Schule“? Da fehlt jetzt ja nicht nur der Winter, es fehlt vor allem an Verständnis, aber das ja schon gleich am Anfang:
“Alle Lebewesen auf dieser Erde leben in der „normalen“, von der Natur vorgegebenen Zeit – und das ist die Winterzeit.” Wie denkwürdig bescheuert, denn die anderen “Lebewesen” haben weder Uhr noch Kalender, und so banal ist das wirklich. Hier liegt so eine Art Zeitfetisch vor, ähnlich dem Geldfetisch, weil der Experte davon ausgeht, dass die Welt eben so ist wie sie ist und schon immer so war.
Was aber würde wirklich geschehen? Käme es dazu und alles andere bliebe wie es ist, würde man wohl feststellen, dass die Anfangszeiten für Schule und Büro in Deutschland, dem Land manisch-bekloppter Frühaufsteher, wohl nachjustiert werden müssen – was der Experte am Ende sogar selbst andeutet. Denn das ist die eigentlich Message der Befragten, die Sommerzeit wollen: Ich will nicht so ewig früh auf der Matte stehen und trotzdem abends noch ein bisschen Licht genießen. Das ist machbar – wenn auch nicht in Deutschland.
Acrylamid macht glücklich
Auf den anderen Experten bin ich nur gestoßen, weil er so aggressiv annonciert wurde: Er sei ein “renommierter Lebensmittel-Experte“. Oh, dachte ich, jetzt also auch bei Telepolis dieser Schwachsinn. Gibt es auch unrenommierte? Und siehe da, das ‘Interview’ ist dem gemäß – unter aller Sau. Es gibt keinen Millimeter Distanz zwischen Frager und Befragtem, beide steigern sich in eine Orgie der Einigkeit.
Die herrscht darüber, dass ‘gesundes’ Essen Tinnef ist, woraus folgt, dass Acrylamid harmlos sein muss, weil ja schon Neandertaler geröstet haben, und ‘Bio’ ist auch scheiße, was für Pussies und kein Stück besser als Genfood von Glyphosat getränkter toter Krume. Alles dasselbe, im Zweifel ist fett und verbrannt besser, weil lecker, und Broccoli schmeckt bitter.
Wenigstens Letzteres hätte sich der Fachexperte für Food-Lobbyismus verkneifen können, zeigt es doch nicht nur, dass seine Expertise sich in Industrie fördernden Klischees erschöpft, sondern er offenbar noch nie wem begegnet ist, der kochen kann. Vor allem nimmt es wunder, dass einer, der sich in Sachen Geschmack bereits als stocktaub erwiesen hat, im Gemüse plötzlich Bitterstoffe entdeckt.
Die Lösung wäre so einfach: Alles in der Friteuse ziehen lassen, bis der Lack dunkelblau glänzt und das Ganze in ein Kilo Schokolade einwickeln – lecker! Das hat uns damals auch nicht geschadet.
Oktober 30th, 2018 at 20:40
Was hast du denn da gekocht…? Der Pollmer hat seinerzeit mal ein paar ganz erfrischend provokative Fragen zum allgemeinen Ernährungsrummel gestellt, sich aber dann in eine ganze Anzahl merkwürdiger Ecken manövriert. Dass Gemüse und auch so manches Obst eigentlich durchaus Bitterstoffe enthält, ist allerdings nichts Neues.
Nichts Neues allerdings auch, dass es ihnen ziemlich erfolgreich abgezüchtet wurde. Schmorgurken zB teste ich am Stielansatz gewohnheitsmäßig immer noch, bevor ich sie verarbeite, aber selbst da habe ich in den letzten Jahren so gut wie nichts mehr gefunden.
Was aber nicht nur Vorteile bringt – wir nehmen mit den Neuzüchtungen anscheinend auch mehr Allergene auf, die vorher durch die Bitterstoffe sozusagen angezeigt wurden: nicht essen. Gentechnik kann sowas offenbar auch.
Oktober 30th, 2018 at 21:36
Das da oben ist ein prähistorisches Dokument unbekannter Herkunft. Ich esse so etwas gar nicht mehr.
Ich sage derweil auch nicht, Grünzeugs beinhalte keine Bitterstoffe, aber wie gesagt: Man kann sie so aussuchen und zubereiten, dass sie schmecken oder ungeputzten rohen Scheiß in sich hineinstopfen, weil man gar nicht weiß, was Kochen ist. Immerhin wissen solche Leute oft, welche Burgerkette mjam ist.
Oktober 30th, 2018 at 23:06
Gesunde Nahrung – das einzige Thema in Deutschland, bei dem die Anzahl an Experten noch über der im Fußball liegt.
Das Thema, bei dem 99,9% der Biodeutschen mit einer religiösen Inbrunst diskutieren, die jeden katholischen Bischof vor Neid erblassen und Migranten jedweder Herkunft nur ungläubig den Kopf schütteln lässt.
Oktober 30th, 2018 at 23:23
fleischsalat auf toast geht immer!
Oktober 30th, 2018 at 23:25
Andersrum ist technisch extrem schwierig.
Oktober 31st, 2018 at 00:02
@BerndH60: Worauf ich mich beziehe, ist Extremismus des Gegenteils; das sind diese Reflexe, die am Ende alles zu einer Pampe machen. Ich habe mich zwar ein wenig gehen lassen in meinem Verriss des Inhalts, was aber wirklich lehrreich ist an diesem Beispiel, ist nicht einmal vorrangig das Expertengetue, sondern wie man ein Interview so führt, dass nur Müll dabei herauskommt. Gerade wenn ich die Meinung meines Gegenübers teile, muss ich es in Zweifel ziehen und es dazu bringen, gut zu argumentieren. Das Verlinkte ist eher Fanblockgebrüll.
Oktober 31st, 2018 at 06:34
Was für ein lustiger Bohei ums Futter gemacht wird! Dabei zeigt schon die künstliche Ernährung in der Medizin, dass das Thema überbewertet ist. Mehr braucht der Körper nicht und ja, man kann auch stellenweise Dreck fressen, da Mangelverwaltungsmaschine. Die Dosis macht das Gift.
Im Übrigen kann ich nicht erkenenn, dass die “neue Zeit” von der BRD schon erlassen wurde. So lange das nicht so ist, bleibt es beim bisherigen Wechsel zwischen Sommer- und Winterzeit, selbst ohne Merkel und mit AFD.
Oktober 31st, 2018 at 07:38
Jau das Telepolis Interview habe ich gestern Abend auch noch mit Erstaunen durchgelesen.
Ein Interview wo sich Frager u. Befragter gegenseitig hochschauckeln, gespickt mit Anekdoten u. “Witzchen” über Extremisten “Gurke in Muschi” (höhöhö), “Mutterkuchen essen” (harharhar), hat in etwa den Gehalt von einem Interview von 1.5 Std. Länge zwischen LaPuente u. Alu-Kenny über die Linke.
Oktober 31st, 2018 at 08:38
Opa erzählt von früher: “Iss und stirb” von Eva Kapfelsberger und Udo Pollmer (1982) war in den 80ern neben dem Buch “Chemie in Lebensmitteln” aus dem Verlag 2001 und dem Bestseller für Frauen “Der Tod des Märchenprinzen” von Svende Merian ein Standardwerk, das “damals” in jedes alternativ-grüne Buchregal gehörte. Pollmer rechnete darin radikal mit derLebensmittelindustrie ab.
Auf 300 Seiten wies er gut recherchiert nach, das schon damals Lebensmittel so etwas wie Sterbehilfe auf Raten waren, deshalb auch der provokante Titel.
Heute gibt es so gut wie keine Lebensmittel, die keinen Zucker enthalten. Fischgerichte ohne Microplastik gibt es ebenfalls nicht mehr. Der Prozentsatz ernährungsbedingter Krankheiten steigt ebenso, wie der der übergewichtigen Menschen, wobei allerdings an dem WHO-Body-Mass-Index Kritik zu üben wäre.
Beim Gang durch die Regale eines Lebensmitteldiscounters finde ich massenhaft Produkte aus reichlich denaturiertem, glutenhaltigem Weizenmehl.
Pollmer sagt heute nichts mehr dazu. Ein Antiaufklärer. Ich habe aber seinetwegen sofort meine Ernährung umgestellt: Die Kartoffelchips liegen jetzt links neben dem Laptop.
Für mich ist foodwatch eine seriösere Infoquelle als dieser Experte.
https://www.cvua-mel.de/index.php/aktuell/138-untersuchung-von-mikroplastik-in-lebensmitteln-und-kosmetika
Oktober 31st, 2018 at 10:10
“”Experten” – wo immer das dran steht, verbirgt sich Religion, Verkündung, Dogmatik, Unwucht und kognitive Steppenlandschaft.” *rofl*
@Peinhart
“erfolgreich abgezüchtet” jau! Ich habe Chicorée und Endivie noch lieber gegessen, als da noch etwas bitter schmeckte. Ich mag das – aber heutzutags, all das auf Mehnstriem getrimmte Zeugs, ohne eigenen (Ur-)Geschmack … “Der Hunger treibt’s rein, der Ekel hält’s unten!”
Oktober 31st, 2018 at 14:08
@6:
Sehe ich auch so.
Das ist kein Interview, das ist ein Schrift gewordener Kanon.
Oktober 31st, 2018 at 15:31
“… ist nicht einmal vorrangig das Expertengetue, sondern wie man ein Interview so führt, dass nur Müll dabei herauskommt.” So soll es ja auch sein: Ächtzperte: Vernagelt! Interviewer: Ebenso!
Btw.: Für mich(!) geht’s bei solchen Beispielen nicht nur um Argumente, für mich geht’s auch um diese Typen (Menschen): Am Ende eines Problems sitzt immer ein tumber Kopf (nein, ich meine nicht bspw. Püntes ;-) ).
Oktober 31st, 2018 at 16:06
OT – Ganz guter, wenn auch nur ‘kleiner’ Beitrag zum hier ja auch immer irgendwie latenten Thema Gewalt.
Oktober 31st, 2018 at 17:08
@Vogel: Das verstehe ich halt nicht. Klar: Wenn einer dauernd dummlallt, sinkt er auf der Liste derer, die ich mir anhöre. Aber was soll das sein, “ein tumber Kopf”? Kann der nix mehr lernen? Ist es auch tumb, wenn er einmal inhaltlich recht hat?
Oktober 31st, 2018 at 18:27
ihr redet überwiegend übers essen, ich dachte es ginge um experten?
Oktober 31st, 2018 at 20:20
@15 Das ist symptomatisch bedingt. These, Antithese, Synthese sind in etwa so wichtig, wie die Ursache.
November 1st, 2018 at 07:48
Guter Überblick über den Konflikt Forst Hambach oder RWE-Wüste in der WOZ
November 1st, 2018 at 15:49
@flatter
Das ist imho gar nicht so schwierig: Ich habe mit Absicht ein ahd. Wort gewählt weil es eben mehr ausdrückt als nur dumm ein tumber Mensch kann durch aus intelligent und gebildet sein und “arglos-unbekümmert” und auch “unvernünftig”. Ein besseres Wort für: intelligent aber … fällt mir einfach nicht ein. Würde ich dumm im Sinne von blöd, unintelligent, meinen, hätte ich eines dieser Adjektive gewählt.
Ich finde es gut, wie Du immer versuchst nicht zu personalisieren, statt dessen streng am Argument zu bleiben … am Ende läuft’s imho doch wieder darauf raus: “Am Ende eines Problems, einer Fragestellung, sitzt immer ein (tumber?!) Mensch.” (Beisoiel: siehe vorstehender Post)
November 1st, 2018 at 16:19
Peter Neumann: Mein Lieblingsexperte. Fachgebiet Terrorismus. Forscht am Londoner King’s College.
Der turnte nach Nizza und Paris durch die ÖR, um die Nation zu beruhigen. “Es gäbe keine Anschlagsgefahr in D, da der IS keine entsprechenden Videobotschaften veröffentlicht habe.”
Wusste ich auch noch nicht aber fand ich prima, dass der IS sowas macht.
Kurze Zeit später kam es zu dem Anschlag am Breitscheidplatz.
November 1st, 2018 at 16:43
@Vogel: Im Neuen haben wir wieder so einen. Der ist da, wo er ist, weil er ist, wie er ist. Er wird als Funktion gebraucht. Die Struktur sucht sich wen, der abliefert und nimmt den, der’s tut. Der hat exakt den Einfluss so zu sein wie jemand auf seinem Posten sein muss. ‘Echten’ Einfluss hätte nur jemand, der allein zu etwas fähig wäre; unersetzlich quasi. Die Typen gibt’s aber nur im Comic, deshalb bleiben die Inhalte relevant und die Personen eben – austauschbar.
November 2nd, 2018 at 09:06
Alles gut – ich will nich nerven, aaber: “… deshalb bleiben die Inhalte relevant …” und an Menschen gebunden. Inhalte hängen nicht frei in der Luft, oder?