Noch einmal kurz zurück zu den “Morddrohungen”, von denen gern die Rede ist, wenn irgendein Troll anonym seine kleingeistigen Phantasien auslebt: Als sei es dasselbe, sich virtuell aufzublasen und einen realen Mord zu begehen. Es gibt noch einen Schritt dazwischen, dargelegt in diesem Pfundstück:

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„Sie hätten das der Kostenstelle mitteilen müssen“, quäkte die Sachbearbeiterin.

Julia war nicht amüsiert, wahrte aber die Contenance. „Und das sagen Sie mir jetzt? Es geht mir nicht einmal um ihr blödes Geld, sondern um die Krankenversicherung. Die sind der Meinung, ich müsste das jetzt nachzahlen. Für drei Monate. Wo soll ich das herholen?

„Das hätten Sie sich vorher überlegen müssen. Wir können Sie nicht rundum pampern, das liegt in Ihrer Eigenverantwortung“.

Haben Sie schön auswendig gelernt. Was ist das für eine ‘Eigenverantwortung’, mit der man errät, wie Ihr Laden hier funktioniert? Gibt es da einen Trick, den ich noch nicht kenne?

„Das steht alles in den Broschüren, die Sie bekommen haben.“

Julia griff in ihre Handtasche, zog einen Stapel Papier hervor und warf ihn auf den Schreibtisch. „Nicht ein Wort steht davon hier drin. Habe ich alles gelesen. Im Gesetz steht allerdings etwas von Informationspflicht. Sie werden hier nicht dafür bezahlt, die Leute zu schikanieren. Sie müssen uns schon gesetzestreu schikanieren.

Die Sachbearbeiterin ballte ihr ohnehin verkniffenes Gesicht zur Faust. „Sie werden unverschämt. Verlassen Sie mein Büro!“

Julia atmete tief ein. „Wissen Sie, dass ich Sie töten könnte?“ Ohne auf eine Antwort zu warten und während die Sachbearbeiterin nach Luft japste, fuhr sie fort. „Ich meine nicht irgend eine Drohung. Ich meine auch nicht rein technisch. Im Prinzip kann ja jeder jeden töten. Die meisten bringen es aber nicht fertig, Leute wie Sie zum Beispiel. Sie können andere mit Füßen treten. Haben jederzeit genug Verachtung für die Menschen, auf die Sie herabschauen, weil Sie nichts wissen von ihnen. Sie haben diesen Apparat hinter sich – glauben Sie – und machen die Welt herzlich schlechter, jeden Tag ein bisschen. Nein, ich meine töten. Ich kann Sie töten und vielleicht werde ich es tun. Übrigens nicht hier. Vielleicht vor dem Gebäude oder an Ihrem Auto oder in Ihrem Haus. Irgendwann stehe ich vielleicht vor Ihnen und werde das Letzte sein, was Sie sehen in ihrem schäbigen kleinen Leben.

„Ich werde den Sicherheitsdienst rufen“, stammelte die Angesprochene.

Tun Sie das; obwohl es nicht nötig sein wird. Sie haben bereits verstanden, worum es geht. Sie glauben, Sie hätten Macht über mich. Das stimmt nur bedingt. Sehen Sie, es ist mir egal, was Sie hier entscheiden. Sie haben es verkackt. Ich weiß jetzt, was Sie hier tun und dass es mir nichts nützt. Ich sehe, welche Art von Mensch Sie sind, und das gibt mir Macht. Über Sie. Die Welt wäre schöner ohne Sie. Das wissen wir beide jetzt. Liegt es nicht in unser Verantwortung, die Welt schöner zu machen? Denken Sie darüber nach – und denken Sie dabei getrost an mich!