Populismus, ein Ping Pong
Posted by flatter under narrativ , politik[17] Comments
16. Sep 2018 14:10
Was Medien als “Populismus” bezeichnen, ist gemeinhin unreflektiert und dient lediglich dazu, Personen und Parteien zu diffamieren, die unerwünschte Positionen vertreten. In Deutschland sind das hauptsächlich Abweichler zur Linken, hier vor allem Oskar Lafontaine, der über Jahre hinweg dieses Etikett quasi als Marke tragen durfte. Aktuell sind es eher Rechte, weil die für die neoliberale ‘Mitte’ und außenpolitisch den transatlantischen Komplex zur Gefahr werden. So etwa Trump und die AfD.
Das heißt keineswegs, dass es Populismus nicht gibt oder dass er mit den Genannten nichts zu tun hätte. Es gibt vielmehr einen für den Parlamentarismus typischen Effekt, der vor allem in Krisen zutage tritt, den man als Populismus bezeichnen darf. Es handelt sich um eine Art Feedbackschleife zwischen politischer Alltagstheorie aka “Stammtischreden” und der Handlungsmoral der Stellvertreter.
Der Deal platzt
Die Stellvertretung im Parlamentarismus anstelle echter Demokratie sorgt in ruhigen Zeiten für eine gewisse Ordnung. Stellvertreter unterwerfen sich gewissen Regularien, um die Interessen derer, die Zugang zur politischen Macht haben, möglichst reibungsarm zu regeln. Solange die Wähler sich halbwegs angemessen vertreten fühlen, dürfen die Funktionäre walten, weitere Emotionen werden in Form privater ‘Meinungen’ abgefackelt, ohne dass wer nachdrücklich den Inhalt solcher Ansichten umgesetzt sehen will.
In Krisen zerfällt die zivile Decke dieses Arrangements und zunächst Einzelne, später ganze Teile des Funktionärsapparates suchen ihren Vorteil in Angeboten, die normalerweise als anrüchig gelten. Dies aus gutem Grund, denn die damit einhergehenden Emotionen sind kaum zu beherrschen und gefährden umso mehr die Macht der Stellvertreter. Dazu ein Paradebeispiel:
Herrenmenschen
Der ‘Sozialdemokrat’ Sarrazin, emporgekommen in der Zeit, da die SPD in Sozialschmarotzern ihre Feinde entdeckt hat, fühlte sich berufen, rassistische Hetzschriften zu verbreiten und ganze Volksgruppen für erblich minderwertig zu erklären – in einer Weise, die sich von der der Nationalsozialisten nicht mehr unterscheiden lässt. Politiker wie Wolfgang Clement (s.o.) oder Publizisten wie Jan Fleischhauer haben diese Entwicklung ebenfalls geprägt.
Es hat selbstverständlich auch vor Sarrazin Rassismus in der Bevölkerung gegeben, es bedarf aber in der Stellvertretergesellschaft der Autorität, um solche Einstellungen ohne Scham öffentlich äußern zu können. Die Phrase “endlich sagt’s mal einer” ist ja keineswegs die Feststellung, dass zuvor niemand Ausländer diskriminiert oder Rassenlehren verbreitet hätte. Es bedeutet nur, dass wer von Rang durch seine Stellung den Weg in die öffentliche Kommunikation ebnet.
Neuer Markt
Deren Management, auch “Massenmedien” genannt, muss dabei freilich mitspielen. Auch hier sind alle Dämme gebrochen, zumal sich mit Emotionen, Empörung und Streit inzwischen mehr Umsatz machen lässt als mit den Ritualen der Seriosität, die ‘Presse’ und ‘Rundfunk’ in den Jahrzehnten zuvor geprägt hatten. Rassismus und Hass sind ein sehr einträgliches Geschäft. Sie treffen auf eine politische Kultur, die sich nie wirklich mit den Ursachen gerade der deutschen Variante der Abwertung von Menschen auseinandergesetzt hat.
So springen die hässlichsten Gestalten aus dem Dickicht hervor und grölen ihre bislang mühsam unterdrückten Projektionen heraus, kaum dass ihnen ein Teil des politischen Establishments den Freischein dafür ausgestellt hat. Dabei empfinden diese autoritätshörigen Krawallhanseln sich noch als rebellisch, weil sie sich ihren Verzicht auf jeglichen zivilisierten Benimm als Freiheitskampf verbrämen. Selbstverständlich rennen sie als Erste zu Mama, wenn andere sich genauso verhalten. Dann muss die nächste Autorität kommen, um daran anknüpfend den Feind endgültig zu vernichten – beziehungsweise den Befehl dazu geben.
September 16th, 2018 at 14:31
“Wenn der Kapitalismus sich sicher fühlt, zeigt er sich liberaldemokratisch, wenn er in Bedrängnis gerät, zeigt er sein faschistisches Gesicht.”
Herbert Marcuse
September 16th, 2018 at 16:36
Quasi nebenbei wird hier darauf hingewiesen, dass zB auch ein Dieter Bohlen mit seinem ‘Gepöbel’ zu den Wegbereitern gehört. Und dass das Ganze sich in der Tat vor allem im Bereich der Konventionen, der ‘ungeschriebenen Regeln’, der ‘Kultur’ abspielt.
Die Tabubrüche einer vollends kommerzialisierten Medienwelt, das Privatfernsehen allen voran, dürfte eine große Rolle bei der jetzt kulminierenden Entwicklung gespielt haben. Wenn, wie es in dem berühmten Zitat heißt, der Wurm eben nur noch dem Fisch, aber nicht mehr auch dem Angler schmecken soll, dann ist nicht nur sämtliche intrinsische Motivation dahin, dann wird, nach Hannah Arendt, Kommunikation vom ‘Handeln’ eben auch nur noch zur ‘Arbeit’ degradiert, zu einem platten ‘um-zu’ des Lebensunterhalts.
Der Bürgerlichkeit scheint analog zum Kapitalismus ebenfalls die Selbstzerstörung eingeschrieben zu sein.
September 16th, 2018 at 22:10
Beim Spon identifizieren sie heute mit “Populismus” ernsthaft eine Wirtschaftspolitik mit hohen Ausgaben und setzen dem “Technokraten” mit neoliberalem Kurs entgegen. Das Niveau ist zum Steinerweichen, Geschitsklitterung gibt es wie so oft gratis dazu. Ein wirres Machwerk, das man sich bestens sparen kann.
September 17th, 2018 at 07:27
Solche Etiketten wie “Populist” ignoriere ich mittlerweile komplett. Wenn ich sie in einem Artikel lese, dann ist das für mich fast immer der Anfang vom Ausstieg aus dem Text. Wer meint mich so billig zumüllen zu können, der kriegt von mir keine Aufmerksamkeit.
Und auch wenn es “echte” Populisten geben mag: Wenn man sie kritisiert, dann bitte inhaltlich. Wenn man der Meinung ist, dass sich das nicht lohnt, dann lässt man es eben, aber dieses Umsichwerfen mit Etiketten ist einfach nur billig und sagt für mich mehr über den Kritisierenden aus als über das Ziel seiner Kritik.
Etwas OT: Habe gestern zufällig in WDR5 einen Beitrag über Syrien gehört, der an Surrealität kaum noch zu überbieten war. Beispielsweise wurde Assad dafür kritisiert Kommunalwahlen abzuhalten, während in Idlib die Menschen abgeschlachtet würden. Äh hallo? Was wollte der Journalist mir denn bitte damit sagen? Demokratie ist nicht, wenn man Krieg führt? Ist das vielleicht auch sein Wunsch für unser Land?
Und Assad sei zudem sehr perfide, denn in Idlib finden keine Wahlen statt, aber alle Einwohner, die dennoch wählen wollten, könnten das in den Nachbarregionen machen. Das sei eindeutig eine Falle und wer das mache werde direkt verhaftet… weil ja alle Menschen in Idlib gegen Assad seien. Ne wa? alles klar!
September 17th, 2018 at 08:19
Aus Wikipedia:
“In der politischen Debatte ist Populismus oder populistisch ein häufiger Vorwurf, den sich Vertreter unterschiedlicher Richtungen gegenseitig machen, wenn sie die Aussagen und Forderungen der Gegenrichtung für populär, aber unrealistisch oder nachteilig halten.”
Jeder Politiker ist in einer repräsentativen “Demokratie” zumindest im Wahlkampf Populist. Was ich an den aktuellen Diskussionen nicht verstehe ist das permanente Entkernen von Begriffen, um sie dann entweder völlig zu entleeren oder mit gegenteiligen Bedeutungen wieder aufzufüllen.
Jetzt bin ich so verwirrt, ich wähle doch lieber Mutti?!
September 17th, 2018 at 09:20
Ein Herr Lafontaine erklärt: Populismus ist eine Vokabel, die in den letzten Jahren in die Debatte eingeführt worden ist, um Positionen gerade im sozialen Bereich abzuqualifizieren, die nicht den eigenen entsprechen. Für jemanden, der gebildet ist – das lateinische Wort populus heißt das Volk –, ist das kein Vorwurf, weil man ihm im Grunde genommen vorwirft, ein Demokrat zu sein. Ein Demokrat hört auf die Bevölkerung und versucht, den Willen der Mehrheit der Bevölkerung umzusetzen. (Saarbrücker Zeitung via NDS)
Die Fallstricke der Repräsentation – der ‘Demokrat’ als gütiger Herrscher.
September 17th, 2018 at 10:46
Populismus ist das lateinische und darum weniger wohlklingende Wort für Demagogie (nicht etwa Demokratie), aber was weiß ein “Linker” schon von humanistischer Grundbildung?
September 17th, 2018 at 11:04
@tux,
Das Antonym zu “populistisch” ist “elitistisch” -
und Sie, Herr Tux, besitzen von Letzterem ein gerüttelt Maß!
September 17th, 2018 at 11:17
Ich darf das, ich bin parteipolitisch aktiv und habe daher ein gewisses Klientel, das mir wichtiger ist als andere: mich!
September 17th, 2018 at 13:27
Interessantes Interview!
September 18th, 2018 at 17:59
OT: Maaßen wird jetzt Staatssekret unter Seehofer. Dann kann er ja als nächstes den Posten selbst übernehmen, er ist ja ein verdienter Mann im Ressort. *brech*
September 18th, 2018 at 20:30
Das wäre eine logische Fortsetzung, er war ja auch schon mal dort. Die SPD aber hat ein weiteres Mal den Fußabtreter gegeben – also aufgepasst, vielleicht liegt die Nahles morgen auch schon vor eurer Tür…
September 18th, 2018 at 21:19
In diesem Fall sind sogar die tagesmärchen not amused: Was war das denn für ein fauler Zauber? Erst ist der Mann untragbar – und dann wird er befördert. Nur damit alle ihr Gesicht wahren können, egal welche Meinung sie vorher vertreten haben.
Das mag vielleicht für die Beteiligten okay sein. Für den Rest der Zuschauer und Wähler ist das einfach nur erbärmlich: Schon wieder ist ein selbstgemachtes Problem nicht gelöst, sondern nur quälend lang vertagt worden, bis es immer größer wurde und zum Schluss als “Regierungskrise” tagelang alles andere überdeckt und gelähmt hat.
Inzwischen hat man das Gefühl, jede Kindergärtnerin hat ihre Kleine Bärengruppe besser im Griff als Angela Merkel ihre Regierungstruppe. Da zündelt der Horst, dort bockt die Andrea – aber die Regierungschefin fliegt lieber nach Algerien, als sich dem Grauen zuhause zu widmen.
Das Prinzip scheinen sie aber immer noch nicht verstanden zu haben: hinter den bühnenfüllenden Aufregern wird die Politik gemacht.
September 19th, 2018 at 09:37
Diese derMaaßen offensichtliche Verarsche der Öffentlichkeit kennen wir doch noch aus 2009: Oberst Klein, wir erinnern uns, war 2009 befehlshabender Offizier beim Luftangriff nahe Kunduz mit vielen Toten.
Zur Strafe wurde er zum Brigadegeneral befördert.
Hau wech den Shice.
September 19th, 2018 at 11:07
An den musste ich auch schon denken.
September 19th, 2018 at 23:23
@Peinhart (10)
Sehr interessantes IV – die causa Maaßen spricht aktuell Bände, Seehofers “Flüchtlingsthema Mutter aller Probleme” usw. usf.
Noch ein Wort zur Kriegsministerin (Text ihrer Rede vom 31.01.14), das berühmte “To sit and wait is not an option.”. Und? Was passierte danach? Das G 36 schoss nich mehr, die Düsenjäger düsten nich, die Hubschrauber schraubten nich, Fregatten ohne Mannschaften, U-Bootfahrer ohne U-Boote usw.: Die Öffentlichkeit weich kochen. “Wir brauchen Geld & Waffen” … für spätere Aufgaben! Geht’s jezz los? Mission accomplished?
September 22nd, 2018 at 16:56
Nun, Populismus kennzeichnet eine Politik, die von den Wählern gewollt ist. Das umzusetzen, was man ihnen vorher versprochen hat.
Insoweit ist Trump z. B. ein Populist, da er bislang alle Wahlversprechen eingelöst hat.
In Deutschland herrscht dagegen der Politikertypus Ideologe vor, der eine eigene Agenda hat, die er umsetzen möchte.
Wahlen sind für ihn ein notwendiges Übel, um das System nicht allzu diktatorisch und obrigkeitsregiert aussehen zu lassen.
Diesen Menschen sind wahre Populisten natürlich ein Dorn im Auge, weil sie eine eigene Agenda haben und ihnen das, was die Wähler wollen und für das er gewählt wurde, absolut egal sind.