"Solidarität" war einmal das Machtwort der Arbeiterklasse. Es wurde reichlich überfrachtet, wie sich schnell herausstellt, wenn das Kapital auch nur den kleinsten Keil in die Arbeiterschaft treibt. Linke Intellektuelle haben ihrerseits den Fehler gemacht, Solidarität mit Moral aufzuladen und mit nachgerade romantischen Ideen. Dabei ist ihr Kern, gerade da, wo sie half, dem Kapital die Stirn zu bieten, recht profan: Es sind gemeinsame Interessen.
Die andere Seite der Solidarität kannte und kennt der Mensch durchaus auch. Es ist die, wo sich in der Not welche zusammentun, die sich sonst kaum beachten. Es ist ebenso die in der Fankurve und drumherum, wo alle Standesdünkel zurücktreten und gemeinsam der Verein besungen wird. Aber diese sind entweder kurzlebig oder gefühlsduselig und jedenfalls nicht geeignet, "Solidarität" zu charakterisieren. Es muss da nur wer daherkommen und plausibel machen, dass man gar nicht zusammengehört oder allein besser dran wäre, schon ändert sich alles.
Interessen
Als gemeinsames Interesse steht die Arbeitersolidarität gegen die des Kapitals; diese stehen auf den beiden Seiten der Profitrechnung. Arbeiter wollen mehr Lohn, Kapital weniger Kosten. Es gab Zeiten, da wussten die Arbeiter das noch. Inzwischen hält sich noch der vorletzte Hilfsarbeiter für was Besseres. Im Zweifelsfall ist er Deutscher und besser als die Ausländer. Vor allem aber die durch die, Verzeihung, sozialdemokratischen Huren des Kapitals bitter verratenen Arbeitslosen dienen ihnen als Fußabtreter anstatt zu erkennen, dass sie es selbst sind, die sie da treten.
Solidarität aus Einsicht ist eine schöne Sache, aus das kommt vor, aber sie ist eben so selten wie aufgeklärte Geister generell. Die haben nicht gerade Konjunktur. Was Not täte, wäre wenigstens wieder zu erkennen, wo die Fronten der Interessen verlaufen: Im Widerstreit zwischen Arbeit und Kapital eben. Dass Kapital als solches auf Arbeit angewiesen ist, kann es in seiner jeweiligen Bilanz nicht berücksichtigen - einer der vielen Webfehler des Kapitalismus. Im Zweifel sorgen Lobbyisten und Dummköpfe dafür, dass selbst Gewerkschaften gegen die Interessen der Arbeiter handeln.
Kapital vs. Arbeiter
Die Macht des Kapitals besteht unter anderem darin, dass seine Krisen immer von den Arbeitern ausgebadet werden. Es sind die Arbeiter, die ihre Jobs verlieren, ausgeschlossen werden, verarmen, hungern und noch obendrein als faul und nutzlos beschimpft werden. Das Kapital sucht sich halt einen anderen Spielplatz, reiche Eigentümer bleiben auch bei Verlusten reich. In Zeiten, in denen Solidarität am nötigsten wäre, ist sie am geringsten: Wenn immer mehr Menschen verarmen, arbeitslos werden, der Konkurrenzdruck steigt.
Das Problem ist die Richtung, in die Konkurrenz und 'Solidarität' dann wirken: Gegen die Verlierer aus den eigenen Reihen und im Schulterschluss mit denen, die sich im Interesse des Kapitals tiefer bücken und sich billig machen. Dabei liegt eine der wenigen Hoffnungen auf eine Änderung des ewigen Elends gerade in den Abgehängten und der Solidarität mit ihnen. Wenn sie ohnehin aus dem Kreislauf des Kapitals fallen, müssen sie sich organisieren und jenseits des Ausbeutungsapparates etwas aufbauen. Nicht um wieder einzusteigen, sondern um zu zeigen, dass sie viele sind und dass sie zählen. Das würde den Fokus auch endlich darauf legen, dass es hier um Menschen geht - um die Mehrheit der Menschen - und nicht um eine organische Funktion des Profits.
August 16th, 2018 at 07:42
Solange das Wort Solidarität mit dem Solidaritätszuschlag negativ besetzt bleibt, also für immer, wird man mit Solidarität keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken.
So wichtig S. ist, das Wort ist verloren.
August 16th, 2018 at 08:18
OT:
Man soll die Feste ja feiern, wie sie fallen.
Die EU-Komission läßt sich tatsächlich dazu herab, die Meinung des Volkes zur Sommerzeit zu erfragen.
https://ec.europa.eu/eusurvey/runner/2018-summertime-arrangements
August 16th, 2018 at 08:25
Je weiter wir in der Geschichte zurückgehen, je unselbständiger und abhängiger von einem größeren Ganzen war jedes produzierende Individuum. Diese „gewachsene“ Abhängigkeit geht in der kapitalistischen Gesellschaft verloren. Hier scheint das Individuum über dem gesellschaftlichen Zusammenhang oder gar außerhalb der Gesellschaft zu stehen. In der traditionellen linken Vorstellung erschien jedoch die „Arbeiterklasse“ als ein naturhaft „gewachsenes Ganzes“, von dem jeder Einzelne bloßes Zubehör war. Je enger gewachsen (gemeinsames Arbeiten im Großbetrieb, gemeinsames Wohnen, gemeinsame Freizeit), desto besser. Das ist verloren, und viele Linke leiden noch unter diesem Verlust.
Wo gemeinsame Arbeitsprodukte Warenform annehmen, wird ein bloß atomistisches Verhalten der Individuen zum Normalverhalten. Aller gesellschaftlicher und produktiver Zusammenhang, alle soziale Beziehungen scheinen nur durch das Geld gegeben und verursacht. Gleichzeitig schafft aber der Kapitalismus ein System des gesellschaftlichen Stoffwechsels, der universale Beziehungen, allseitige Bedürfnisse und universelle Vermögen herausbildet – dies jedoch nicht als individuelle Potenz wie beim Genie, sondern als gesellschaftliche Potenz, als kollektives Produkt des Zusammenwirkens Aller.
Die Menschen müssen sich erst aus allen „naturhaft gewachsenen“ Beziehungen befreien. Erst dann können sie als universal entwickelte Individuen ihre sozialen Beziehungen, also ihre gesellschaftlichen Verhältnisse, ihrer eigenen gemeinschaftlichen Kontrolle unterwerfen.
(Paraphrase aus verschiedenen Marx-Texten)
Was daraus entstehen kann, ist keine Gefolgschaft („Arbeiterstaat“), sondern eine „Gesellschaft, der einzigen, worin die selbständige und freie Entwicklung der Individuen keine Phrase ist, (und wo) die Vereinigung der Individuen bedingt (ist) eben durch den Zusammenhang der Individuen, ein Zusammenhang, der teils in den ökonomischen Voraussetzungen besteht, teils in der notwendigen Solidarität der freien Entwicklung Aller, und endlich in der universellen Betätigungsweise der Individuen auf der Basis der vorhandenen Produktivkräfte.“ (K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 424).
August 16th, 2018 at 10:23
Wie hier berichtet wird haben ausgerechnet in Düsseldorf Patienten und Pflegepersonal ihr 'solidarisches Interesse' entdeckt. Und der Herr Nowak möchte prompt das 'neue Gesicht der Arbeiterbewegung' erkennen - es sei jedenfalls nicht mehr 'weiss und männlich'. In der Tat ließen sich über die Themen 'Miete' und 'Pflege' - bzw umfassender 'Care' - eigentlich schon recht mächtige 'Bewegungen' schaffen. Und beide auch mit Anschlussmöglichkeit an grundlegendere Überlegungen, insbesondere im Hinblick auf Arbeits- und Eigentumsbegriff. Der in der Pipeline befindlichen 'Bewegung von oben' dürften solche Überlegungen allerdings deutlich zu weit gehen.
August 16th, 2018 at 12:41
Moin,
naja Solidarität ist doch häufig erkennbar. PEGIDA, Metoo etc. etc.und andere Albernheiten.
Zuerst müsste hinsichtlich der Ausbeutung durch das Kapital erst mal "das Erkennen" eines gemeinsamen Interesses gegen das Kapital und dessen Auswirkungen die Masse durchdringen. Dann muss ein Plan her, sonst wird das nix mit der BEWEGUNG. Wobei hier auch noch die Frage in welche Richtung sich die BEWEGUNG bewegen soll, lauert. In Fragen des Rassismus, Faschismus et al Ismen scheint sich die Solidarität wie Wasser zu bewegen, ich meine sie nimmt immer den leichtesten, kürzesten Weg. Hinsichtlich der gemeinsamen, interessengelenkten, Solidarität against Capitel, scheinen sich im Verstand riesige Staudämme errichtet zu haben, dies zu erkennen fällt den meisten schwer bzw. wird von vorneherein abgelehnt, weil zu schwer der Weg des Wasser/Wissens ist.
August 16th, 2018 at 17:07
OT - Da bringen die tagesmärchen mal einen ganz brauchbaren Kommentar, dass es nämlich im Falle Sami A. um nicht weniger als um die Gewaltenteilung und den Kern der Rechtsstaatlichkeit geht - und nebenbei bemerkt auch nicht um Rechtspositivismus - und dann schliesst dieser Kommentar mit dem bemerkenswerten Satz:
Wenn wir im Kampf gegen Gefährder anfangen, den Rechtsstaat aushöhlen - dann: gute Nacht, Deutschland! (Grammatik so im Original)
Na dann schlaft mal schön weiter...
August 16th, 2018 at 22:53
Ach Peinhart, dess iss noch gar nix: Da wird von Recht und "Volks"empfinden geschwafelt, was willst da noch sagen? Vox populi, vox Rindvieh? Recht in der Beliebigkeit "des Volkes"?
August 17th, 2018 at 11:36
Der kriegt ja im betreffenden Kommentar schon sein Fett weg. Trotzdem lässt sich an dem Reul-Statement ganz gut illustrieren, was mE den vielzitierten 'Populismus' ausmacht. Nämlich nicht die 'unterkomplexen' Botschaften an's 'dumme Volk', sondern die stillschweigende Annahme, es gäbe da tatsächlich so etwas wie 'das' Volk mit in diesem Fall 'dem' Rechtsempfinden und man sei als Politiker oder Partei nicht nur befugt, sondern gar berufen, dieser 'einen' und natürlich 'wahren' Stimme Gehör zu verleihen.
Das geht also noch weit über die alte und sattsam bekannte Konstruktion der 'schweigenden Mehrheit' hinaus und impliziert nebenbei dann auch einen ganz anderen Umgang mit all den 'Wenigen', die in dieser Stimme nicht aufgehen mögen.
Ein solches Statement hätte ich allerdings von einem Sozen weit eher erwartet als von einem CDUler - die sind oder waren eigentlich immer eher der Ansicht, das 'dumme Volk' müsse halt zu seinem eigenen Besten 'regiert' werden und habe sich darob in stiller Dankbarkeit zu ergehen und nicht etwa irgendwelche Stimmen zu erheben, geschweige denn 'eine'.
August 17th, 2018 at 12:58
Das berühmte gesunde Volksempfinden stammt aus Paragraf 2 des Strafgesetzbuchs in der Fassung vom 28. Juni 1935. Da hieß es: „Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient.“ Dies war die Anordnung der so genannten unbegrenzten Analogie im Strafrecht, also das definitive Ende jedes rechtsstaatlichen Strafsystems. Deshalb wurde das berühmte “gesunde Volksempfinden“ durch das Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30. Januar 1946 als typisch nationalsozialistisches Unrecht aufgehoben.
August 17th, 2018 at 16:44
Andere haben gar kein Kapital, die haben dafür "Linke": Es fleischhauert.
August 17th, 2018 at 21:22
Es gibt ja wenige, die sich meine ausdrückliche Verachtung verdient haben in der Journaille, aber Fleischhauer gehört dazu. Ich lese nicht mehr, was dieser Faschist vor sich hin trollt. Auch für den Fall, dass er einmal recht hätte.
August 17th, 2018 at 22:02
Sehr am Rande: Ein höchst interessantes Thema, auf das ich zurückkommen werde. Da kreuzt sich so manches - Recht als auf individueller Verantwortung beruhendes im Kontext mit Automation ('Algorithmen') etwa; Urheberschaft als Anspruch, am Ende aber ohne Verantwortung; Organisation als Widerspruch zu Verantwortung in (kollektiven) "Werken". Hier bildet sich die Eigendynamik des Kapitalismus ab als Zwang zu technischen 'Lösungen', die im Kern ebenfalls abstrakten Profitinteressen folgt. Dann hegt das mal fein ein, ihr Regulierer!
August 17th, 2018 at 22:06
fleischhauern ist für mich nicht zum letzten und nicht ersten mal, sich (immer wieder) dümmer zu stellen als man ist. das ist nicht nur in berlin ein phänomen, die symptome mit der analyse so lange zu versinnwechseln, bis sie dem eigenen sinn entsprechen, nur leider nur unsinn sind.
ja, wahrscheinlich ist berlin in vielerlei hinsicht so disparat wie keine andere stadt. und dann gibt es kommunalpolitikerinnen, die sich aufräufeln, mit oder ohne oder gegen den senat. die sind schon aufgestanden, bevor überhaupt jemand ans aufwachen gedacht hat.
ich weiß nicht, was ich von "aufstehen" halten soll.
ich weiß aber, liegenbleiben kann es auch nicht sein.
August 17th, 2018 at 22:20
Was Berlin anbetrifft, erinnere ich an die Zeiten von Momper, Diepgen und einer der Mafia nicht mehr nur ähnlichen 'Bauwirtschaft'. Seitdem der Bund mit herumpfuscht und sich offenbar niemand rechtzeitig die Frage gestellt hat, was eigentlich passiert, wenn man die Stadt gleichzeitig zum Verwaltungs- Politik- Medien- und Tourismmuszentrum macht ohne die bereits vorhandenen Probleme je gelöst zu haben, wird das eben zur Dauerfarce. "Gentrifzierung" ist ja derweil eine Erfindung der Linksterroristen und der BER ein ebenso linksradikales Projekt (Baader-Mehdorn-Gruppe). Letzteres ist als solches immerhin erfolgreich.
August 18th, 2018 at 11:23
OT - Nu guckt euch mal diese Bilder hier an: die Merkel steht doch total unter Putins Bann! Fehlt nur noch, dass er ihr feierlich eine Pipeline um den Hals hängt. Musikvorschlag dazu: 'I put a spell on you'. Mit onomatopoetischem Anklang!
@flatter #12 - Und immer wieder: Schuld...
August 18th, 2018 at 11:45
Framing heute: Es gibt nicht nur Machthaber; neu ist jetzt die "Chaosregierung" (Spon). Wissen Sie heute schon, was sie morgen denken müssen!
p.s.: Wie wird man eigentlich "Twitterer"?
August 18th, 2018 at 12:01
Durch eine Misslaune der Evolution...
August 18th, 2018 at 17:18
"Wenn sie ohnehin aus dem Kreislauf des Kapitals fallen, müssen sie sich organisieren und jenseits des Ausbeutungsapparates etwas aufbauen."
Die Idee ist nicht schlecht. Aber wenn sie schon eine neue Reproduktionsweise aufmachen, muss diese zumindest die Lebensbedingungen verbessern. Dass das gelingt, bezweifle ich, denn dazu müssten sie zuallererst begriffen haben, warum eigentlich sie aus dem System gefallen sind. Sonst fällt der Wille nicht mit dem Machbaren zusammen. Und diesbezüglich muss ich Wal auch mal rechtgeben, wenn er schreibt:
"Die Menschen müssen sich erst aus allen 'naturhaft gewachsenen' Beziehungen befreien. Erst dann können sie als universal entwickelte Individuen ihre sozialen Beziehungen, also ihre gesellschaftlichen Verhältnisse, ihrer eigenen gemeinschaftlichen Kontrolle unterwerfen."
Das heißt, bevor sich unter den Systembedingungen Menschen solidarisieren, muss zuvor das geschehen - aber wie?
August 19th, 2018 at 10:32
OT.
"Deutschland spricht"
https://www.tagesschau.de/inland/deutschland-spricht-103.html
Ich habe ja kein Problem mit dem Diskurs, ich habe ja quasi den Diskussionsschein des ÖRR. 3 Jahre jede Talgschau gesehen, ob Will, Blaßberg oder Illner.
Da habe ich gelernt wie eine "gute" Diskussion funktioniert.
Man könnte sagen ich habe von den Größten gelernt. ;-)
Ende Ironie.
Denen ist echt nichts zu peinlich.
Man braucht doch erstmal echte, unverfälschte Informationen auf deren Grundlage man sich eine Meinung bilden kann.
Und die werden vom ÖRR nicht geliefert.
Statt dessen werden die Menschen/ Börger genudged.
Denen ist echt nichts peinlich.
Grüße
August 22nd, 2018 at 14:40
Aus einem Kommentar von @Peinhard weiter oben: "das neue Gesicht der Arbeiterklasse"....ist nicht mehr "weiß und männlich". Was soll der Scheiß? Es ist genau dieser intersektionale Mist der modernen Pseudolinken, der die von den Neoliberalen vorangetriebene Individualisierung noch befeuert. Weil dieses Gesindel aus dem Prenzlauer Berg prächtig auf der Welle mittsurft, hat es für die wirklichen Sorgen und Nöte der einfachen Leute keine Antworten mehr. Und mittendrin der Feminismus, der sich von "gleiche Rechte, gleiche Pflichten" Lichtjahre entfernt hat. Solide Tarifverträge, auskömmliche Löhne, unbefristete Stellen und anständige Sozialversicherungen sind keine männlichen Privilegien, sondern in harten und oft blutigen Kämpfen erstritten worden. Die werden jetzt locker flockig geschleift und das weite Teile der Bevölkerung (egal, welches Geschlecht und welche Hautfarbe) dabei unter die Räder kommen, ist scheißegal.