Neoliberal, rechts, autoritär
Posted by flatter under narrativ , politik[15] Comments
11. Aug 2018 14:27
In einem sehr lesenswerten Interview mit Walter Ötsch wird u.a. ein Gedanke angerissen, den ich hier ein wenig weiter verfolgen will: Es ist die Nähe des Neoliberalismus zu faschistischem Gedankengut. Nicht nur das Experiment unter Pinochet oder die Junta in Argentinien belegen das; gerade aktuell zeigen sich deutliche Parallelen.
Zurecht wird im genannten Interview darauf hingewiesen, dass es Neoliberale wie Lucke (sowie Henkel und andere) waren, die eine von Anfang nationalistische Partei gegründet und den Rechtsradikalen wie Höcke und seinen Anhängern Tür und Tor geöffnet haben. Die Faschisten haben sich in dieser elitären Partei sofort wohlgefühlt, sind doch autoritäres Denken, Abwertung bestimmter Menschengruppen und entsprechende Strategien der Markenkern. Das Vorbild FPÖ funktioniert ähnlich.
Beugt euch der Übervernunft!
Zunächst eine Charakterisierung des Neoliberalismus‘ Hayekscher Prägung, angelehnt an den o.g. Artikel: Hayek hat ein Gesellschaftsmodell entworfen, in dem eine kleine Elite die Geschäfte führt. Darin unterscheidet er sich nicht von den Faschisten. Wo die freilich Nation, Blut und Boden anbeten, ist bei Hayeks der Markt nicht weniger als ein Gott. Dessen “Übervernunft” hat sich alles zu beugen, sprichwörtlich:
“Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass wenn erst einmal der aktive Teil der Intellektuellen zu einem bestimmten Set an Glaubenssätzen bekehrt ist, der Prozess der allgemeinen Akzeptanz dieser Sätze nahezu automatisch und unwiderstehlich verläuft. Die Intellektuellen sind das Organ, das moderne Gesellschaften entwickelt haben, um Wissen und Ideen zu verbreiten und ihre Überzeugungen und Meinungen wirken wie ein Sieb, durch das alle neuen Vorstellungen hindurchmüssen.”
Tiefer!
Dies beschreibt exakt eine religiöse Mission, in der die Kardinäle, Priester, Prediger und Laien ihre feste Aufgabe haben. “Intellektuelle” sind hier das Gegenteil geistig beweglicher Zweifler, sondern eben Verkünder und Missionare. Dementsprechend wird jede Form von “Demokratie”, die sich erdreistet, in Märkte einzugreifen, ernsthaft als “totalitär” bezeichnet. Diese Strategie der Projektion eint Nazis, Trolle und eben Neoliberale.
Während dem “Markt” totale Herrschaft gesichert wird, werden schon Zweifel daran als “totalitäres” Gedankengut diffamiert; die Verhältnisse in der Propaganda auf den Kopf gestellt. Exakt so sehen Rechtsradikale, vor allem AfD-nahe, überall Faschisten, nur nicht in den eigenen Reihen. Sie selbst betrachten sich gern obszön als “Juden”, als gnadenlos verfolgte, ein Motiv, dass wir u.a. von Boris Johnson auch in Bezug auf die Superreichen oder von Hans-Werner Sinn über Manager kennen.
Demokratie ist totalitär
Es ist nun typisch für die BRD, ihre Geschichte und ihre politische Kaste, dass sie die radikalsten antidemokratischen Kräfte, sofern sie die Eliten stellen, als ‘demokratisch’ verkaufen müssen. Das gilt für die brutalsten Wirkungen des Kapitalismus, seine neoliberale Variante ebenso wie für den Nationalsozialismus. Der Kernwiderspruch des deutschen Narrativs besteht darin, ein autoritäres Regime und dessen Funktionsträger eben als Demokratie zu etikettieren.
So ist es erstens nicht verwunderlich, dass eine Kanzlerin, zu der es strategisch seit 2005 keine Alternative gibt, kein Problem damit hat, eine Chimäre wie “marktkonforme Demokratie” zu ihrer Aufgabe zu erklären. Ebenso wenig überrascht es, dass als vermeintliche ‘Alternative’ ein Konstrukt auftrumpft, das beide autoritär-religiösen Politikströmungen vereint; nämlich die Anbeter des Marktes und die von Volk und Nation. Der mythische Kampf der Mächte bietet obendrein schaurige Untergangsvisionen. Auch im globalen Wettberwerb® gibt es nur Endsieg oder totale Niederlage.
August 11th, 2018 at 17:18
Wir werden von Irren dominiert.
August 11th, 2018 at 18:09
Unnötig zu erwähnen, dass Luckes LKR eigentlich ein ziemlich vernünftiges Programm hat, aber ohne Windbeutel und Trolle hört da keiner mehr hin. Die Grünen haben das früh verstanden: Große Fresse = große Presse.
Ich tat heute in der Lokalzeitung lesen, dass der gefühlt lebenslange CDU-Bürgermeister einer niedersächsischen Kleinstadt “wegen Merkel” aus der Partei ausgetreten ist, ausführlich begleitet von besagter Lokalzeitung (der eine gewisse Nähe zu besagter CDU nicht abzusprechen ist).
Das wesentliche Problem “der Neoliberalen” ist insofern auch kein politisches, sondern dass diejenigen unter ihnen, die man kennt, so schrecklich, schrecklich dumm sind. Die AfD tut ihren Gründern keinen Gefallen (und die FDP möchte man manchmal mit dem Gesamtwerk von von Mises in die Gegenwart zurückprügeln). Und da soll man nicht verdrossen sein.
August 11th, 2018 at 19:43
OT: Laut einer weißen Autorin auf “ZEIT ONLINE” ist man als Weißer automatisch Rassist. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten bei der Beschimpfung von “ZEIT ONLINE”-Redakteuren.
August 11th, 2018 at 19:57
Money Quote:
“Sie könnten beispielsweise vorhersagen, ob meine Mutter und ich meine Geburt überleben und wie lange ich leben werde, nur weil ich weiß bin“.
August 11th, 2018 at 20:02
Totgeburt ist Nazi. Muss man wissen.
August 11th, 2018 at 22:48
Ich hab das glaube ich schon 1998 geschrieben: die Nähe der Neoliberalen zur fasch. Menschenverachtung.
Als dann 2004/05, so zur Jahreswende, Hartz IV realisiert wurde, habe ich diese Nähe bildlich dargestellt. U.a. über eine attac-Liste. Man warf mir dort vor, ich verharmlose den Holocaust.
Für diese Vorwerfer gilt wohl bis heute nicht: Wehret den Anfängen. Für sie gibt es keinen Weg Richtung KZ, ihnen zufolge kann man den Holocaust nur mit sich selbst vergleichen.
August 11th, 2018 at 23:10
Anschließend an “marktkonforme Demokratie”: da da – und das ist gaga – eine ‘bewegung in gründung’ an Ludwig Erhard ‘anknüpfen’ möchte, erlaube ich mir mal: “Wenn heute die »Soziale Marktwirtschaft« Ludwig Erhards explizit als Alternative zum Neoliberalismus ins Feld geführt wird, kann ein Studium der Geschichte des Neoliberalismus vor Verwirrungen bewahren. Gerhard Schwarz hat zu Recht daran erinnert, daß »Soziale Marktwirtschaft … für ihn [Erhard] eine Verkaufsformel [war], die zum Ausdruck bringen sollte, daß die Marktwirtschaft sozial ist« (NZZ 1./2.1997, 21).” Dazu aus der Anmerkung: “Laut Michael Novak, Direktor des American Enterprise Institutes, hat Erhard den Begriff »soziale Marktwirtschaft« vor allem aus taktischen Gründen gewählt. Auf die Einwendung von Hayeks, daß es ein Fehler sei, dem Begriff Marktwirtschaft sozial beizufügen, habe er seinerzeit geantwortet: »Erhard gab ihm Recht, fügte aber hinzu, daß die Deutschen den freien Markt ohne das Wort ‘sozial’ nicht annehmen würden« (Novak 1996). Besonders perfide wird die Geschichte der vermeintlich antifaschistischen Errungenschaft dieser »Sozialen Marktwirtschaft«, indem Milton Friedman dem chilenischen Diktator Pinochet neben dem Kampf gegen die Inflation eine »gesunde soziale Marktwirtschaft« anempfiehlt, die mit Hilfe einer »Schocktherapie« eingeführt werden soll (vgl. Friedman/Friedman 1998, 591-594, Appendix A: Briefwechsel Friedman/Pinochet).”
„Die neoliberale Formel für Demokratie besagt, daß sie nur geduldet ist, wenn sie die »Marktwirtschaft« nicht stört (vgl. Plehwe/Walpen 1998a, 378). Über diese Bedingung wachen wiederum die marktradikalen Intellektuellen und Eliten, die mit dem Verweis auf ihre quasi naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und Einsichten, jeglichen Einwand mit ernster Miene zurückweisen. … Zur Erinnerung an die neoliberale Agenda der Vergangenheit (und bei Bedarf Zukunft): Friedrich August von Hayek äußerte sich folgendermaßen über das chilenische Regime General Pinochets:
»Eine freie Gesellschaft benötigt eine bestimmte Moral, die sich letztlich auf die Erhaltung des Lebens beschränkt: nicht auf die Erhaltung allen Lebens, denn es könnte notwendig werden, das eine oder andere individuelle Leben zu opfern zugunsten der Rettung einer größeren Anzahl anderen Lebens. Die einzig gültigen moralischen Maßstäbe für die ‘Kalkulation des Lebens’ können daher nur sein: das Privateigentum und der Vertrag.« (Interview mit von Hayek in: El Mercurio [Santiago de Chile], 19.4.1981; anläßlich der in diesem Jahr in Chile stattfindenden, regionalen MPS-Tagung)“
zu finden in Prokla 115/1999 – Plehwe/Walpen.
Auch hier noch einmal der hinweis auf Mirowskis „Untote“: eine rezension bei: Ingo Stützle, zwei lesbare findet man auch bei amazon und aus dem buch selbst, leider nur englisch: Die Dreizehn Gebote des Neoliberalismus. Ötsch wiederum scheint einer der wenigen ökonomen zu sein, die Mirowski im deutschen sprachraum aufgreifen, siehe etwa hier.
#2 Neolib Lucke (der missionar im schafspelz) und seine LKR: „Ziel der Partei ist die Stärkung der sozialen Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards durch Förderung von Leistung, Verantwortung und Schutz des Eigentums“. Lucke, von Mises, fehlt nur noch Hayek, hoppla, da ist er ja: Sieben Annahmen zum Linkssein und dem dort unter sieben verlinkten artikel bei sciencefiles (aua), woselbst einem Hayek gleich mal ins gesicht springt – nee, nä?
August 11th, 2018 at 23:12
Es ist ein paar Jahre her, aber da gab es einen Beitrag auf der “Gegenblende”, der in eine ähnliche Problematik thematisierte: Rohe Bürgerlichkeit und der Sozialstaat -> http://gegenblende.dgb.de/++co++b4a826b6-d7fa-11e2-a40c-52540066f352
(Wenig später gab’s dann auch auf den NDS – damals noch mit Wolfgang Lieb – ein längeres Interview: Der Ökonom als Menschenfeind? -> https://www.nachdenkseiten.de/?p=19065 )
August 12th, 2018 at 00:10
@oblomow/tux.:
Schon interessant, dass man mit Bezug auf einen religiösen Marktfanatiker wie Hayek ‘kritisieren’ kann, dass ein “Volk” “erzogen” werden solle. Dazu einmal mehr Foucault: “Das Absurde runiert das ‘Und’ der Aufzählung“.
August 12th, 2018 at 00:14
Ich mache mir referenzierte Darlegungen selten in Gänze zueigen. Ich bin doch nicht bei der FAZ.
August 14th, 2018 at 11:41
Hayek: “Das bedeutet nicht weniger als dass das ganze Bildungs- und Erziehungswesen in den Dienst der guten Sache einer Markt-Ökonomie einzuspannen ist.” Beispiel Das geht vom Kindergarten an, schließt Lehrer und Eltern ein, 28 Bundesstaaten der US hängen bereits an der Angel, 26 sollen schon feste Verträge mit dem CEE haben (Link leider verbaselt, wenn’s einer kennt, bitte her damit, Danke): Alles wird auf Mehnschtriem gepolt!
Btw.: Entweder sind die betreffenden Intellektuellen in Politik und Meinung nich intellektuell – die merken nix – oder es sind die gleichen Gangster. Zutreffendes bitte ankreuzen.
Nachtrach: Worte unserer Zeit: “wertebasiert” und “regelbasiert” (“marktkonform” iss ja schon Geschicht und damit Tatsache, gell!)
August 22nd, 2018 at 13:19
Nicht mehr bei Tro(o)st: “Innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen Kompromisse zu schließen, zugleich aber seinen langfristigen Zielen treu zu bleiben, ist ein schwieriger Spagat, den die Linkspartei hierzulande aus Regierungsbeteiligungen in den Ländern und auf kommunaler Ebene kennt. Unter begrenzten Spielräumen konkrete Politik zu machen, ist jedenfalls kein Verrat, sondern verantwortliche Politik.”
Na endlich: INL = Initiative Neoliberale Linke (euphemistisch natürlich N = Neue, das nebelt so schön – siehe auch New Labour/Blair oder Neue Mitte/Schröder, auch da lese man neoliberal, dann passt das).
Und wegen des mannes mit der “werkzeugkiste”: “dass man diesen ort der wahrheitsbildung (…) einfach sich selbst überlassen muss, mit sowenig interventionen wie möglich, gerade damit er sowohl seine wahrheit formulieren und sie der regierungspraxis als regel und norm vorschlagen kann. Dieser ort der wahrheit ist (…) der markt.”
„ … the problem is to estimate an optimal distance between a decision taken and the individual concerned, so that the individual has a voice in the matter and so that the decision is intelligible to him. At the same time, it is important to be able to adapt to his situation without having to pass through an inextricable maze of regulations.“ (Foucault)
Der markt als prinzip der “veridiktion”: Foucault “fasst ihn als eine abwesende Gottheit, nicht anders als Hayek, Stigler, Friedman oder Buchanan. (…) als den archimedischen Punkt, der eine Kritik der autokratischen Staatsmacht ermöglicht.” (Mirowski)
Drei links:
Foucault’s Responsibility
Can We Criticize Foucault?
Foucault ein Neoliberaler? Dort unter dem gleichen datum auch ein interview mit Francois Ewald.
Nichts gegen Foucaults “werkzeugkiste”, allein schon dieses einen satzes wegen: “Vieles, was ich getan habe, war mir lange Zeit selbst nicht ganz klar.” Und wenn gar nichts mehr weiterhilft, kein argument, keine ‘vernunft’, dann, ja dann, bleibt als letzte form des widersetzens, mit Foucault gesprochen: der schrei der unvernunft – prost.
»Tröste Dich«, versetzte Münchhausen, »es ist immer besser, daß uns die Leute ›garnicht‹ verstehen; wie leicht könnten sie uns ›mißverstehen‹ und uns für politische Revolutionäre halten und uns ins Gefängnis sperren lassen.« (Scheerbart)
August 22nd, 2018 at 15:40
Ich bin da jetzt mal durchgeflogen. Zwo kurze Eindrücke:
- Es gibt wie immer Fanboys, die ihre ‘Helden’ auch dannn noch verehren, wenn die Scheiße labern. Daher mein immerwährendes Insistieren auf Texte und deren Lektüre, anstatt Autoren zu labeln.
- Es ist nicht das erste Beispiel dafür, dass einer die (teils geniale) Analyse verlässt und auf dem Weg in vermeintliche Praxis bescheuerte Vorschläge macht.
August 22nd, 2018 at 18:31
Apropos Helden: Friendly Fire!
August 22nd, 2018 at 20:25
Noch einer zum Thema The neo-fascist moment of neoliberalism. Money quote: “There is nothing funny about neoliberalism: economics is too important to be left to the people. Democracy, however, is worth a good laugh.”