Lars Jeager ist der Ansicht, die Unsicherheit in den politischen Diskursen liege daran, dass selbst Wissenschaft zunehmend Unsicherheiten produziert und Letztbegründungen unmöglich geworden sind. Auch wenn das die Lage noch schlimmer macht, halte ich die Hauptursache für eine andere. Sie ist jene Getriebenheit von Wünschen, die schon immer Mythologie hervorgebracht hat. Ihr ist es ganz gleich, welche Wissenschaft sie dafür ignorieren oder missbrauchen muss.
Der Wunsch ist der Vater der Gedanken. Für Freud entsteht Realität erst aus der Abwehr des Wunsches. Statt sich der Halluzination, dem Traum hinzugeben, wie man satt wäre, macht der Mensch einen Plan, wie er ans Futter kommt. Er kann sogar auf die einfache direkte Befriedigung verzichten, wenn es einen Plan gibt, in dem das ein Vorteil ist. Alle Rationalität aber beginnt mit dem Wunsch – womit im Übrigen auch ‘Antiwünsche’ gemeint sind: Angst und Schmerz.
Wünschdirwas
Erst die moderne Wissenschaft hat ein Konzept von Rationalität hervorgebracht, in dem der Wunsch, das Triebziel keine Rolle mehr spielen darf. Dass das regelmäßig korrumpiert wird, weil sich ‘Wissenschaft’ in den Dienst von Interessen stellt, ist nicht dem Konzept geschuldet. Phantasie hat in wissenschaftlichem Denken nur so weit eine Berechtigung, wie sie neues überprüfbares Wissen schafft, etwa durch neue Modelle, die die Welt besser bzw. anders beschreiben als die alten. Wissenschaft ist eine ewige Korrektur.
In Bezug auf Politik ist Denken – sowohl solches, das vom Willen geprägt ist, als auch wissenschaftliches, in einer schwierigen Situation. Ausgerechnet in modernen ‘Demokratien’ ist wissenschaftliches Denken in der Politik beinahe ausgeschlossen. Im deutschen Parlamentarismus etwas ist ausdrücklich die “Willensbildung” das Zentrum der Betrachtung. “Was wollen die Menschen?” ist vordergründig die Frage, und diese Frage ist tödlich für einen geordneten Diskurs unter heutigen Bedingungen.
Jeder darf hier nämlich seinen Wünschen, seinen Phantasien und Illusionen freien Lauf lassen und sie fröhlich mit allem mixen, das den Anschein macht ‘Wissen’ zu sein. Diskussionen, Argumente, selbst Fakten dienen nicht der Erkenntnis, sondern der Bestätigung des eigenen Weltbilds. Was es nicht bestätigt, fliegt raus, weil es unerwünschte Emotionen auslöst. Die Diskutanten schotten sich in aller Regel systematisch von Erkenntnis ab und schaffen sich Rituale der Selbstbestätigung. Der Prozess ist völlig ungeeignet, Wirklichkeit zu organisieren, weil diese nicht einmal erkannt wird.
Im Folgeartikel wird es darum gehen, welche Konsequenzen das für Gesellschaftsentwürfe und politische Konzepte hat.
Juni 27th, 2018 at 19:48
Und sonst noch so? Der “Faktenfinder” auf Tagesschau.de weiss zu berichten das “unpopuläre Gesetze” völlig losgelöst von der WM entschieden werden.
Wer etwas anderes behauptet ist einem Mythos aufgesessen bzw. wie es das zitierte Mietmaul meint “politikverdrossen” und leidet unter VT.
Da aber Schland jetzt “historisch” in der Vorrunde ausgeschieden ist (harharhar) geht das jetzt sowieso nicht mehr.
Juni 27th, 2018 at 22:40
erstmal … vom Wiener Psychofritzen ist der Lack irgendwie seit jüngerem ziemlich angegriffen, ich hätte die mich dieserthalber erbauende Lektüre gern nochmals referenziert, aber irgendwie sind da Löcher in meinen Beständen. Kurzer kursorischer Blick zeigt mir aber, die Einsicht scheint etwas weitere Kreise zu ziehen, dass man zur Psyche etwas anders ausholen muss als der seltsame Trickser aus Wien es vorgemacht hat (siehe vor allem Briefe mit Jung, es gab aber auch anderes Material, etwa, dass sich Klienten gemeldet hatten, die leicht entgeistert über diverse schlechte Manieren waren, sobald bei ihnen nicht mehr so recht der Rahm abgeschöpft werden konnte).
Zum anderen, die Chose mit Rationalität und nicht- oder doch wunschgemäßer Wissenschaft betreffend, sei doch dezent darauf hingewiesen, dass die Mutter diesseits antiker Renaissancegelüste ganz irdisch auch bei der Theologie ausgemacht werden sollte, auf die genau diese Konstruktion zur Suche nach Rationalität eben zutrifft, beginnend mit einer Historie, dass der Römischen Oberschicht schmackhaft zu machen war, dass eine Staatsreligion für das absaufende Imperium billiger war, dem Christentum der Zuschlag zugleich mit der Etablierung eben einer Wissenschaft parallel zum weihwedelnden Klerus zukam.
Dann aber sonderlich die absurde Setzung der beiden Unmöglichkeiten ab dem Mittelalter, Wandlungsritual bei der Messe, sowie Dreifaltigkeit, bot reichlich Gelegenheit, Rationalität zu schulen, stets mit dem Verdikt von Verbannung oder ärgerem im Genick. Somit also durchaus ernsthaft betrieben. Explizit: auf Teufel komm raus. Rationalität bar zuviel des Empirischen, sozusagen, zugleich hart gespielt und mit Argusaugen beobachtet.
Zugleich mit der Gründlichkeit der Argumentketten wurde damit auch die Gewöhnung an Korruptheit als grundlegende Methode geübt. Anders war die Chose nicht durchzuziehen und trotzdem meinte man es bitter ernst. Allein die Dauer des Mittelalters ist zudem ganz schön viel Holz, sollte man nicht unterschätzen. Und beide Nachbarn in der Methodik sind sich seit her durchgehend treu geblieben (und ist so als Vorstellung eines Ideals um die Welt geschwappt): dass Rationalität in unserem Denkhorizont prinzipiell stets auch korrupt war. Die erste Korruptheit besteht dann darin, dies nicht explizit zu benennen.
Bevor sich die Geisteswelt in die eigenen Wirren unentrinnbar verstrickte, war die islamische Tradition freundlich hilfreich, ein dem römisch-christlich-kriegerischen Horizont weitgehend absurd erscheinender Zug … wo dort ja Philosophie eine Nachbarin der Medizin ist und eben nicht der Theologie. Das erdet! Bevor man sich prügelt! (Dass hier nicht von den einst von den Briten gut gestützten Wahabis am saudischen Hof die Rede ist, sollte klar sein.)
Mir lugt beim Vorigen zuviel des unbedacht durchgereichten Kanons einer nicht hinterfragbaren Erfolgsgeschichte durch die Ritzen, die aber zugleich ein Geschichte der Zerstörung ist und nicht aus eigener Kraft hinaus findet. Rationalität alleine aus dieser Ecke begründen zu wollen, wird den Haken verpassen, wie man tragfähig ins Geschäft kommt, ohne dass die eingebaute Destruktivität sich doch wieder nur perpetuiert. Dass man sich dann an Erzählweisen aufrichtet, mehr oder weniger klammheimlich, ist da schon wieder system-immanent.
Für ein konkretes Stichwort zum Dilemma der stets leicht verwirrten Ratio ob der stets unentrinnbaren Korruption: Das Dilemma, von Leben zu sprechen, ohne gleich die Res Cogitans ins Spiel zu bringen, ist nicht gelöst worden. Und wenn der Planet dabei hops geht, bleibt die Anschauung in der Blödheit stecken: die Welt des Menschen sei außerhalb des Menschen. Das ist tragisch. Aber sich etwa dem Evo Morales (der die Dimensionen hierzu wohl durchschaut) angemessen auf solcher Tiefe zu begegnen, dafür gibt es keinen angemessenen Pragmatismus mehr. Eine entsprechende integrierende Form von Dialektik wird man nicht mehr in Gang setzen können. Der Planet geht hops. Ganz einfach. Ganz rational. Und? Fehlt da etwas? Streng wissenschaftlich natürlich überhaupt nicht.
Juni 27th, 2018 at 22:48
“Der Planet geht hops” – Hobbes vielleicht (der musste sein). Er wird uns ggf. ausspucken, aber beides, die Kugel und die Spezies, sind hartnäckig. Das ist apokalyptisch, mithin wieder Theologie (besonders krude gar) und sucht mir doch arg zu hektisch eine vermeintliche Hintertür. Lass uns mal am Ball bleiben.
Juni 28th, 2018 at 11:25
Die Spezies Mensch hat hunderttausende von Jahren ohne Zivilisation existiert, nur letztere ist in Gefahr. Oder zählt die Zeit der Unwissenheit nicht und der Mensch fängt erst ab Besoldungsstufe A12 an?
Juni 28th, 2018 at 11:49
OT: [..] Und die ehemalige AfD-Vorsitzende Petry stellte kürzlich in einem Interview mit der “Nürnberger Zeitung” fest: “Nun will die AfD die neue SPD werden – mit nationalem Anstrich.” Sie wolle eine “national sozialistische Partei” sein. Was die AfD anstrebe, sei eine sozialistische Politik. “AfD und SPD sind gleichermaßen für eine Erhöhung von Hartz IV, für den Mindestlohn und mehr Umverteilung.” [..]
Man beachte auch den Titel der Audiodatei, den die Tagesmärchen ganz unten vergaben: Die AfD entdeckt die “kleinen Leute”
Höcke klingt wie ein Politiker der Linkspartei … Merken die da draußen eigentlich noch was?
Juni 28th, 2018 at 12:04
@HF: Heißt das jetzt nicht mehr “Audi”?
@R@iner: Die Trolle haben doch längst gewonnen. Die ganze parlamentarische Mischpoke meint doch, Politik sei die Kunst, mit Flüchtlingen umzugehen. National sind sie alle, schon immer gewesen, nur sind selbst die mit dem Sozialisten-Label Erzkapitalisten. Da sind die Nazis keine Ausnahme. Die wirken sogar noch frisch geschissen, während der andere Dung nicht mal mehr stinkt. Lechts ist rinks, ja sicher, denn inhaltlich konsistent ist gar nix mehr und am Ende gewinnt Deutschlands Wohlstand. Dass nun die Mittelschichts-Medienheinis so gar nicht den Zusammenhang zum Zusammenbruch sehen können, liegt in ihrer Natur. Sie sind ja die Guten, die Ehrlichen, die Manierlichen, Gemäßigten. Woher die ganzen Radikalen und Verführten kommen, da müsste man schon Putin fragen.